Tödliche Investitionen
zitterten. Er fluchte. Die Brieftasche quoll über von Papieren, alten Quittungen, Briefmarken und Einkaufslisten. Aber zum Teufel, wo steckte sie denn bloß? Da! Roter Rand. Gelbe und rote Schrift. Die Visitenkarte, die er von Joachim Bjerke bekommen hatte, Reidun Rosendals oberwichtigem Nachbarn. Er las laut:
»Ludo.«
Stutzte. Ludo?
Er las die nächste Zeile. »Finanzen, Wirtschaftsprüfung … Joachim Bjerke … Direktor.«
Er blieb einen Moment stehen und schnippte die Visitenkarte in die Ecke. Er trat ans Regal und zog einen Ordner mit der Aufschrift »Reidun Rosendal« heraus, leckte seinen Zeigefinger an und blätterte langsam Seite für Seite um. Berichte und Anlagen. Er wusste, wonach er suchte. Die linke Seite wurde immer höher. Endlich. Es war kein normaler Bogen, sondern graues Kopierpapier, vielfach zusammengefaltetes graues Kopierpapier. Er hatte es in die Brieftasche gesteckt, als er im Gerichtsgebäude war und nach stundenlanger Suche vom Hunger übermannt worden war.
Eine Liste von Software Partners Prozessgegnern des letzten Jahres. Eine Liste von sieben Namen. Aber nur ein Name leuchtete ihm entgegen. Der vierte. Hingekritzelt mit blauem Kugelschreiber.
Ludo.
Ein kleines Viereck war daneben gemalt. Das Viereck, das mitteilte, dass diese Firma ihre Klage gegen Software Partners zurückgezogen hatte.
Er sah sich die Liste an und merkte, dass er lächeln musste. Das letzte Puzzlestück. Langsam wurde das Bild klar. Er setzte sich und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Über dem Abendhimmel lag ein undeutlicher grauer Schleier. Warum war Joachim Bjerke in einen Konflikt mit Software Partners geraten? Warum hatte er das der Polizei verschwiegen? Und warum hatte er die Klage gegen Software Partners zurückgezogen?
Schließlich legte Gunnarstranda mühsam beide Beine auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Rauchte und dachte über diese drei Fragen nach, ohne eine Antwort zu finden. Jetzt blieb ihm nur eins übrig: Joachim Bjerke zu besuchen und ihn selber zu fragen. Gunnarstranda schaute auf die Uhr. Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Er hatte ja neulich mehr oder weniger versprochen, dass er noch einmal wiederkommen würde.
Fünfundvierzig
Ihr Gesicht wirkte verängstigt, als sie die Tür öffnete und ihn erkannte. »Da bin ich wieder!«
Sie gab keine Antwort.
»Wir kommen oft mehr als einmal«, erklärte er mit freundlicher Stimme, was ihre Nervosität aber nicht linderte. Sie blieb einfach stehen und fingerte unruhig an der Türklinke.
»Ich würde gern kurz mit Ihrem Mann sprechen.«
Sie reagierte nicht sofort, aber ihr Blick wich aus. In einen hellblauen Schlafanzug gesteckt, den Schnuller im Mund, tauchte der kleine Junge auf. Er klammerte sich an ihr Bein. Seine Mutter trug einen kurzen rosa Rock über einer dicken dunklen Strumpfhose, die elektrisch knisterte, als der Junge an ihrem Bein zerrte. Sie sah gut aus.
»Ist er nicht zu Hause?«
Sie riss sich zusammen. Warf ihr Haar zurück, das sie mit einem rosa Band zu einem dicken Zopf geflochten hatte.
»Doch«, gab sie zögernd zu, öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.
Weiter hinten in der Wohnung lief der Fernseher. Er nahm sich Zeit, als er seinen Mantel aufhängte, ließ sie erst hineingehen und ihren Mann vorwarnen. Der Fernseher verstummte, und er hörte, wie sie mit dem Kind verschwand. Bald war nur noch ein Raunen zu hören. Eine Mutter, die ihrem Kleinen vorlas.
Der Polizist zog seine Jacke zurecht und ordnete seine spärlichen Haare, dann ging er ins Wohnzimmer. Joachim Bjerke war aufgestanden und stand abwartend zwischen Ledersofa und Tisch.
»Sie sind offenbar noch nicht weitergekommen!«
Der gleiche spöttische Tonfall wie neulich.
»Na?«
Der Polizist antwortete nicht sofort. Ertappte sich dabei, wie er automatisch auf die Uhr sah, lächelte über seine eigene Unsitte. »Doch, wir sind schon ein Stück weitergekommen.«
Er ließ sich unaufgefordert auf dem Sofa nieder, lehnte sich zurück und schlug lässig die Beine übereinander und sah sich um. Gunnarstranda stellte fest, dass die Wohnung so aufgeräumt war wie neulich, obwohl sie doch intensiv bewohnt wurde. Er entdeckte ein paar Maklerbroschüren, die fächerförmig auf dem Glastisch verteilt lagen. »Wollen Sie umziehen?«, fragte er mit einer Geste in Richtung der Prospekte.
Bjerke ignorierte die Frage, setzte sich, behielt aber seine abweisende Fassade.
»Kommen wir doch zur Sache«, sagte er kühl.
Arrogant wie immer, du
Weitere Kostenlose Bücher