Tödliche Jagd
überrascht. »Von woher kommen Sie?«
»Aus London. Warum?«
Er schraubte den Tankdeckel wieder auf.
»Weil Sie den ganzen weiten Weg umsonst gemacht haben. Dort ist
gewöhnlich schon um zehn Schluß.«
»Schluß mit was?«
»Na, mit den Gebetsstunden. Deswegen sind Sie
doch gekommen, oder? Alle kommen doch deswegen«, brummte er.
Helen rettete die Situation, indem sie eine
Fünfpfundnote aus ihrer Handtasche holte und sie ihm durch das
offene Fenster hinhielt. »Wirklich schade, aber wir hatten in
Newbury Schwierigkeiten mit dem Motor, haben dann in Bath eine falsche
Abzweigung genommen und uns verfahren.«
Er sah sie an, nahm zum ersten Mal bewußt Notiz
von ihr, und danach war er fast wie umgewandelt. Den meisten
Männern ging es so, wenn sie mit ihrer Schönheit konfrontiert
wurden.
»Bei so 'nem Sauwetter kann ich die
Verkehrsschilder auch schlecht sehen«, sagte er, als wolle er ihr
versichern, daß es nicht ihre Schuld gewesen sei. Er ging in sein
Häuschen, und ich stieg wieder in den Alfa. »Gut gemacht.
Kompliment.«
Sie konnte nichts darauf erwidern, denn der Tankwart
war bereits mit dem Wechselgeld zurück. »Gradaus durchs
Dorf, über die Brücke und dann scharf rechts. Ungefähr
noch fünfhundert Meter durch den Wald. Nicht zu übersehen. Am
Tor steht eine Tafel, auf der die Zeiten für die Gebetsstunden
stehen. Wie vor einer Kirche.«
Es hatte nicht den Anschein, als sei er sonderlich
erbaut über das, was dort ablief. Helen dankte ihm für seine
Auskunft und gab Gas. »Alles ziemlich undurchsichtig«,
bemerkte sie, als wir die Brücke passierten. »Was
veranstaltet unser Freund Pendlebury dort deiner Meinung nach?«
»Was weiß ich? Wir müssen uns den Laden eben erst mal anschauen.«
Wir fuhren an einer hohen Steinmauer
entlang durch den Wald auf einen Lichtpunkt zu, der sich
schließlich in zwei Lampen auflöste, die von einem
schmiedeeisernen Bogen hingen, der ein hohes Tor überspannte, das
einladend offenstand. Neben dem Tor war eine in Blau und Gold gehaltene
Tafel mit der Aufschrift »Tempel der Wahrheit« angebracht,
auf der die verschiedensten Aktivitäten aufgeführt waren,
darunter Seminare, die eine Woche dauerten, und die Termine der
Gebetsstunden. Am Samstagabend fand eine in der Zeit von zwanzig bis
zweiundzwanzig Uhr statt. Pendleburys Name stand ganz unten, ohne jeden
Titel oder sonstigen Zusatz.
»Zumindest nennt er sich nicht Bischof oder so
was in der Richtung«, stellte ich in mokantem Ton fest.
»Fahren wir zum Haus und sehen uns an, was das alles soll.«
Die Auffahrt führte erst noch durch ein
Kiefernwäldchen, das dann schließlich den Blick freigab auf
ein terrassenförmig angelegtes Gartengelände, in dessen Mitte
sich das Haus befand, nicht allzu groß, schätzungsweise Ende
des 18. Jahrhunderts erbaut. Auf dem Kiesrondell vor dem Eingang
standen ungefähr zwanzig Autos, von denen die meisten auf betuchte
Besitzer schließen ließen.
Helen parkte den Alfa in die Reihe ein, ich stieg aus
und ging auf das Portal zu. Die Tür stand offen; ich blieb an der
Treppe stehen und wartete auf Helen.
»Es scheint, als seien sie immer noch zugange«, stellte sie fest. »Was machen wir nun?«
»Ein dem heiligen Ort entsprechendes
andächtiges Gesicht, und dann schließen wir uns der
Versammlung der Gläubigen an.«
Als ich im Portal kurz stehenblieb und mich umsah,
berührte ihre Hand meinen Arm. »Ich bin mir nicht sicher, ob
das wirklich eine so gute Idee ist.«
»Aber du willst doch Max zurückhaben, oder?«
Ich gab ihr keine Gelegenheit, weitere
Einwände vorzubringen, indem ich in die große Eingangshalle
weiterging. Sie wurde von einigen Kerzen in einem vielarmigen silbernen
Leuchter erhellt, der auf einem kleinen Tisch stand; und war
erfüllt von dem schweren, alles durchdringenden Duft von
Weihrauch.
Das Gemurmel von Stimmen war hinter einer hohen
Flügeltür neben der Treppe zu hören. Sie war nur
angelehnt; ich öffnete sie etwas weiter, damit wir hindurchsehen
konnten.
Wir spähten in einen kleinen Saal, ziemlich lang,
aber nicht sehr breit, mit geschlossenen Vorhängen an der
Fensterseite und chinesischen Wandteppichen an der
gegenüberliegenden. Dreißig, vielleicht auch vierzig
Personen, die im Lotussitz auf dem Boden saßen, waren in dem
Halbdunkel zu erkennen; auch hier waren Kerzen die einzige Beleuchtung,
nur standen sie diesmal zusammen mit dem in einer Schale brennenden
Feuer vor einem
Weitere Kostenlose Bücher