Tödliche Jagd
bleiben
sollen, Ellis. Jetzt sieht alles noch düsterer aus als
vorher.«
»Im Gegenteil«, widersprach ich und zog
die Visitenkarte aus der Tasche. »Nicht, so lange ich die hier
habe. Dieser geheimnisvolle Mr. Pendlebury ist mir einige
Erklärungen schuldig. Im Alfa müßte ein Autoatlas sein.
Gib mir bitte die Schlüssel.«
»Wozu brauchst du denn die?«
»Um herauszufinden, wo genau Sidbury liegt.«
»Du willst doch hoffentlich nicht damit sagen,
daß du beabsichtigst, ganz auf dich gestellt nach diesem
widerlichen Kerl zu suchen?«
»Hast du vielleicht irgendwas dagegen?«
Sie zögerte, seufzte dann tief, holte ihre
Handtasche, nahm die Autoschlüssel heraus und warf sie mir
über den Tisch zu.
»Du sollst deinen Willen haben, Ellis. Wie kann
ein so cleverer Mensch wie du nur manchmal so dumm und verbohrt
sein.«
Ich lief hinaus in den Regen,
schloß den Alfa auf und setzte mich auf den Fahrersitz. Ich fand
den Straßenatlas und suchte im Ortsverzeichnis nach Sidbury. Es
gab tatsächlich einen Eintrag. Hundertzwanzig Einwohner, eine
Gaststätte, eine Tankstelle und sonst kaum noch etwas
Erwähnenswertes, am Rande der Mendip Hills gelegen, nicht weit von
Wells. Ich warf noch einen kurzen Blick auf die Karte und ging ins Haus
zurück.
Helen war nicht mehr in der Küche. Ich
öffnete die gegenüberliegende Tür und befand mich in
einem gemütlichen Wohnraum mit dicken Eichenbalken an der Decke.
Auf einer aus Natursteinen gefügten Esse, die groß genug
war, daß man einen Ochsen darauf hätte braten können,
flackerte ein anheimelndes Holzfeuer. Sie saß daneben, eine Hand
auf dem Telefon.
»Wen willst du anrufen – Vaughan?«
»Nein. Er hat mit mir vor einiger Zeit
telefoniert und mir mitgeteilt, er sei zu einer Sitzung des
NATO-Geheimdienstes nach Paris gerufen worden, bei der diese ganze
Affäre besprochen werden soll.«
»Wann kommt er zurück?«
»Irgendwann morgen früh. Er will mit der ersten Kuriermaschine zurückfliegen.«
»Dann bleibt also nur noch Sean, und der ist bestimmt noch unterwegs.«
»Ich könnte immer noch die Polizei anrufen.«
»Könntest du, aber so wie im Moment die
Dinge liegen, würde denen nichts anderes einfallen, als mich
sofort einzusperren.«
»Womit du allerdings recht hast. Und als
nächstes wirst du mir sagen, du möchtest keine Zeit mehr
verlieren, daß es auf jede Minute ankäme. Und alles wegen
Max.«
Ich war verdutzt, wußte nicht, worauf sie hinauswollte. »Was denn sonst?«
»Aber Ellis, nicht doch. Belüg
dich doch jetzt nicht mehr selbst. Du tust doch jetzt alles nur
für dich und niemanden sonst. Jemand hat dir auf die
Füße getreten, wer immer das auch sein mag. Und nun
möchtest du zurücktreten, allerdings um einiges
kräftiger. Deine erste Reaktion auf beinahe jede Situation ist
eine aggressive.«
»Vielen Dank, Frau Doktor«, erwiderte ich
spöttisch, doch an ihrer Feststellung war etwas Wahres dran. Sogar
soviel, daß sich bei mir ein leichtes Unbehagen einstellte. So,
als hätte sie mir einen Spiegel vorgehalten und als gefiele mir
das nicht, was ich darin sah.
»Wo liegt dieses Sidbury eigentlich?« fragte sie scheinbar desinteressiert.
»In der Nähe von Wells und den Mendip Hills.«
»In dieser Gegend war ich noch nie.«
»Etwas über hundert Kilometer. Anderthalb Stunden mit dem Alfa.«
»Also gut. Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Daß ich fahre. Dein
Reaktionsvermögen ist in deinem gegenwärtigen Zustand nicht
gut genug.«
Ich hätte diese Feststellung bestreiten
können, aber es würde wohl nichts genützt haben.
Außerdem machte es, als ich in die Küche zurückging,
wieder einmal ›Klick‹ in meinem Kopf, und der
Lampenschirm hatte plötzlich den fünffachen Durchmesser.
»Warte im Alfa auf mich«, rief sie mir zu. »Ich brauche nicht lange.«
Ihre Stimme hallte in meinem Kopf wider, und als die
Wände zu schwanken begannen, ging ich hinaus zum Auto, nahm auf
dem Beifahrersitz Platz und gurtete mich an.
Ich schloß die Augen, atmete
langsam und gleichmäßig und versuchte mich an alles zu
erinnern, was mir Black Max an Entspannungstechniken beigebracht hatte,
denn nichts konnte mich nun noch aufhalten. Ich war auf dem Weg nach
Sidbury, um die Wahrheit aus diesem Pendlebury herauszuquetschen, und
wenn es das letzte war, was ich tat.
6
Der Tempel der Wahrheit
Ich hatte erwartet, daß sie von St. Claire sprach, aus ihrer
Sicht eine
Weitere Kostenlose Bücher