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Tödliche Jagd

Tödliche Jagd

Titel: Tödliche Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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überleben.«
      Er mußte über meine Bemerkung lächeln.
»Man muß zugeben, daß Sie in dieser Beziehung ein
erstaunliches Talent entwickelt haben. Eine Zen-Weisheit besagt,
daß eine Löwin ihre Jungen drei Tage nach der Geburt einen
Abhang hinunterstößt, um zu sehen, ob sie wieder
hochklettern können.«
    »Hören Sie mir doch mit diesem
Quatsch auf. Reden wir lieber über Tatsachen. Ich glaube, ich
hab's mir verdient. Da St. Claire hier ganz offensichtlich in seiner
Bewegungsfreiheit nicht im geringsten eingeschränkt ist, nehme ich
an, daß er für Sie arbeitet?«
      »Genauso ist es.« Er nahm auf dem Stuhl
hinter dem Tisch Platz und holte sich eine Zigarette aus dem
Elfenbein-Etui, die rechte Hand noch immer unter dem Gewand verborgen.
      Mir war, als hätte ich ein Eisenband um den Kopf,
das immer enger zusammengezogen wurde. Die Schmerzen waren so stark,
daß mir das Denken, klares logisches Denken, auf das es jetzt
ankam, außerordentlich schwerfiel. »Und deshalb mußte
er wohl auch sterben? Vermutlich, weil man ihm auf die Schliche
gekommen war?«
      Chen-Kuen nickte. »Denn tot, besser gesagt,
offiziell für tot erklärt, wäre er für uns noch
nützlicher gewesen, wie Sie sicher verstehen werden.«
      »Wollen Sie mir etwa weismachen, daß er
dort in Tay Son umgefallen ist? Daß Sie ihn umgepolt
haben?« Ich schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein.
Ich war auch dort. Ich war lange mit ihm zusammen. Ich weiß, was
dort passiert ist.«
      »Mein lieber Ellis, wenn Sie damit meinen, es
sei mir gelungen, durch Gehirnwäsche einen überzeugten
Marxisten aus ihm zu machen, dann muß ich Sie enttäuschen.
Bei seiner psychischen Verfassung war dies nicht möglich und auch
nicht notwendig.«
    »Versteh' ich nicht.«
    »Das ist ganz einfach zu
erklären. St. Claire ist nur von dem Gedanken beseelt, dort
dabeizusein, wo etwas geschieht. Er möchte im Mittelpunkt stehen,
spektakuläre Taten vollbringen. Er sucht die Gefahr. Wählen
Sie sich aus, wie Sie es nennen wollen. Seltsam ist dabei angesichts
seiner Vergangenheit – ich meine damit in erster Linie seine
soldatische Karriere –, daß er nicht unbedingt ein Publikum
braucht. Was er braucht, ist die Gefahr, der Nervenkitzel; seine Gier
danach ist neurotisch. Wie Sie wissen, äußern sich Neurosen
auf mannigfaltige Art. Die verschiedensten Formen abweichenden
sexuellen Verhaltens zum Beispiel, ausgefallene Wünsche, die das
Individuum nicht unterdrücken kann.«
      »Wollen Sie mir damit einreden, daß St.
Claire gewissermaßen süchtig ist nach Action, Kampf, Gewalt,
et cetera?«
      »Damit erklärt sich sein ganzes Leben. Ein
gewisser Hang zur Selbstzerstörung, zum Suizid, wenn Sie so
wollen, spielt dabei natürlich mit, was ihm selbst allerdings
nicht bewußt ist. Mir wurde dies bereits zu Beginn unserer
Bekanntschaft in Tay Son klar. Der Rest war dann nur Formsache.«
      Wortwahl und Gestik von Chen-Kuen bei dieser
Charakteranalyse wirkten so, als würde er vor
Psychologie-Studenten dozieren.
    »Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
      »Er war tot, Ellis. Die Medien in aller Welt
hatten berichtet, er sei im Kampf gefallen. Ich führte ihm diese
Tatsache deutlich vor Augen. Sagte ihm, er würde nach China
gebracht werden und dort den Rest seines Lebens in Einzelhaft
verbringen müssen.«
    »Und die Alternative bestand darin, für Sie zu arbeiten.«
      »Ganz richtig. In die Freiheit
zurückzukehren, noch dazu als der große Held, und für
uns zu arbeiten.«
      »Aber er mußte sich doch nicht darauf
einlassen. Wie konnten Sie sicher sein, daß er sich an Ihre
Spielregeln hält, wenn er frei war?«
    »Das Risiko mußten wir
eingehen, doch es war nicht allzu groß. Es wäre ein leichtes
gewesen, ihn zu denunzieren. Wir hätten Tonbandprotokolle von
Gesprächen, von ihm unterschriebene Erklärungen und
dergleichen veröffentlichen können. Auch wenn das alles dann
als kommunistische Verleumdungskampagne abgetan worden wäre, etwas
wäre immer an ihm hängengeblieben. Er wäre erledigt
gewesen. Man hätte ihn, um den Schein zu wahren, zwar nicht aus
der Armee entlassen, ihm aber irgendeinen langweiligen Schreibtischjob
zugewiesen, bei dem ein Mann seines Kalibers nach kurzer Zeit
verrückt geworden wäre. Jedenfalls waren Drohungen
überhaupt nicht notwendig. Er fand sehr bald Gefallen an dieser
Idee, Ellis. Sie war, wie es so schön heißt, genau seine
Kragenweite. Ein neuer Nervenkitzel, wenn Sie so wollen, für

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