Tödliche Küsse
Meisterin.« Nadine ließ sich auf einen der Stühle fallen und rutschte ein wenig darauf herum. »Wie ist der Winkel, Pete?«
Der Kameramann hielt sich die handflächengroße Kamera ans Auge. »Okay.«
»Pete ist ein Mann weniger Worte«, erklärte Nadine. »Genau, wie es mir gefällt. Wollen Sie Ihre Haare vielleicht noch einmal kämmen?«
Um ein Haar wäre sich Eve tatsächlich mit den Händen durch das Haar gefahren. Sie hasste es, vor einer Kamera zu sitzen, hasste es mehr als alles andere. »Nein.«
»Das können Sie natürlich halten, wie Sie wollen.« Nadine nahm eine kleine Schminkschatulle aus ihrer riesengroßen Tasche, klappte den Spiegel auf, tupfte sich etwas auf die Augen und überprüfte ihre Zähne auf Lippenstiftflecken. »In Ordnung.« Sie ließ die Schatulle wieder in die Tasche fallen, kreuzte lässig ihre Beine und blickte in die Kamera. »Los.«
»Los.«
Eve verfolgte fasziniert, wie sich Nadines Gesicht mit einem Mal veränderte. Sobald das rote Lämpchen glühte, wurde ihre Miene strahlender, ihr Blick leuchtender, und ihre Stimme, die zuvor hell und leicht geklungen hatte, bekam einen tieferen, eindringlicheren Klang.
»Hier spricht Nadine Furst, live aus dem Büro von Lieutenant Eve Dallas, Kommissarin beim New Yorker Morddezernat. Bei unserem Exklusiv-Interview geht es um die brutalen, bisher ungeklärten Morde an Staatsanwältin Cicely Towers und an der preisgekrönten Schauspielerin Yvonne Metcalf. Lieutenant, gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden Fällen?«
»Höchstwahrscheinlich ja. Dem Bericht des Pathologen zufolge wurden beide Opfer von demselben Täter mit derselben Waffe ermordet.«
»Daran besteht kein Zweifel?«
»Nein. Beiden Frauen wurde mit einem dünnen, scharfkantigen, zweiundzwanzig Zentimeter langen, von hinten nach vorn spitz zulaufenden Messer die Kehle durchgeschnitten. In beiden Fällen wurde das Opfer von vorne angegriffen und mit einem einzigen, leicht schräg von rechts nach links geführten Schnitt getötet.«
Eve nahm einen Kugelschreiber vom Schreibtisch, holte aus, und Nadine zuckte erschrocken zusammen, als sie wenige Millimeter vor ihrem Hals Halt machte. »So.«
»Ich verstehe.«
»Beide Male wurde die Halsschlagader durchtrennt und das Opfer durch den dramatischen Blutverlust sofort außer Gefecht gesetzt, sodass es weder um Hilfe rufen noch sich anderweitig zur Wehr setzen konnte. Der Tod muss innerhalb weniger Sekunden eingetreten sein.«
»Mit anderen Worten, der Mörder brauchte nur sehr wenig Zeit. Ein Angriff von vorn, Lieutenant. Lässt das nicht darauf schließen, dass die Opfer ihren Mörder gekannt haben?«
»Nicht unbedingt, aber es gibt andere Beweise, die den Schluss zulassen, dass die Opfer ihren Mörder kannten oder zum Zeitpunkt ihrer Ermordung zumindest jemanden erwarteten. Zum Beispiel das Fehlen jeglicher Verletzungen, die auf versuchte Gegenwehr schließlich lassen könnten. Wenn ich so auf Sie zukäme… « Wieder holte Eve mit dem Kugelschreiber aus, und sofort hob Nadine eine Hand an ihren Hals. »Sehen Sie, in Erwartung eines Angriffs würde man automatisch versuchen sich zu schützen.«
»Interessant«, erklärte Nadine und musste sich beherrschen, um nicht die Stirn zu runzeln. »Trotzdem wissen wir zwar über die Morde selbst recht genau Bescheid, haben aber keine Ahnung, wer sie aus welchem Motiv begangen haben könnte. Welche Verbindung gibt es zwischen Staatsanwältin Towers und der Schauspielerin Yvonne Metcalf?«
»Wir verfolgen mehrere Spuren.«
»Der Mord an Staatsanwältin Towers liegt inzwischen drei Wochen zurück, Lieutenant, und dennoch haben Sie bisher noch nicht einmal irgendwelche Verdächtigen?«
»Wir verfügen zum momentanen Zeitpunkt nicht über die Beweise, die eine Verhaftung rechtfertigen würden.«
»Dann gibt es also doch irgendwelche Verdächtigen?«
»Wir treiben die Ermittlungen schnellstmöglichst voran.«
»Und das mögliche Motiv?«
»Menschen bringen einander aus allen möglichen Gründen um. Das haben sie bereits vor Urzeiten getan.«
»Der Bibel nach ist Mord das älteste Verbrechen«, bemerkte Nadine.
»Man kann zumindest sagen, dass Mord eine lange Tradition des Mordes hat. Vielleicht sind wir inzwischen in der Lage, gewisse unerwünschte Neigungen durch Genetik, chemische Behandlung oder Beta-Scans herauszufiltern, und vielleicht gelingt es uns tatsächlich, einige potenzielle Mörder durch die Androhung der Verbannung in Strafkolonien und des Entzugs der
Weitere Kostenlose Bücher