Tödliche Küsse
Eve das Link erreichte, strich sie sich fluchend die Haare aus der Stirn und brachte mit einem unfreundlichen »Musik aus« Mick und seine Mannen zum Verstummen. »Mavis, sieh zu, dass du nicht auf dem Bildschirm erscheinst«, bat sie die Freundin, atmete tief ein und öffnete das Link. »Dallas.«
»Zentrale, Lieutenant Eve Dallas. Stimmabdruck verifiziert. Wir haben eine Leiche in der Broadcast Avenue neben dem Gebäude des Channel 75.«
Eve gefror das Blut in den Adern, und sie umklammerte Hilfe suchend den Rand des Schwimmbeckens. »Der Name des Opfers?«
»Diese Information darf ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht über das Link weitergeben. Bitte bestätigen Sie den Erhalt des Einsatzbefehls, Lieutenant Eve Dallas.«
»Einsatzbefehl erhalten. Geschätzte Ankunftszeit in zwanzig Minuten. Schicken Sie bitte auch Captain Feeney von der Abteilung für elektronische Ermittlungen zum Tatort.«
»Verstanden. Ende.«
»Oh Gott, oh Gott.« Schlaff vor Trunkenheit und Schuldgefühlen lehnte Eve den Kopf gegen den Rand des Pools. »Verdammt, ich habe sie auf dem Gewissen.«
»Hör auf.« Mavis schwamm zu ihr hinüber und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Vergiss es, Eve«, erklärte sie brüsk.
»Er hat den falschen Köder geschluckt, den falschen Köder, Mavis, und jetzt ist sie tot. Eigentlich hätte er mich nehmen sollen.«
»Ich habe gesagt, du sollst aufhören.« Mavis packte sie bei den Schultern und schüttelte sie sanft. »Jetzt komm mal wieder zu dir, Dallas.«
Hilflos presste Eve eine Hand an ihren schwirrenden Schädel. »Oh, mein Gott, ich bin völlig betrunken. Na, wunderbar.«
»Da kann ich dir helfen. Ich habe noch ein paar Ernüchterungstabletten in der Tasche.« Als Eve stöhnte, schüttelte sie sie noch einmal. »Ich weiß, dass du Tabletten hasst, aber sie ziehen innerhalb von zehn Minuten jeden Alkohol aus deinem Blut. Nun komm schon, nimm eins von den Dingern.«
»Fein. Okay. Dann bin ich wenigstens nüchtern, wenn ich sie mir ansehen muss.«
Sie wollte die Treppe hinaufgehen, geriet ins Schwanken und wurde zu ihrer Überraschung von einer festen Hand gepackt.
»Lieutenant.« Summersets Stimme klang immer noch kühl, aber er reichte ihr ein Handtuch und half ihr die Treppe vom Beckenrand hinauf. »Ich lasse Ihren Wagen vorfahren.«
»Ja, vielen Dank.«
12
M avis’ Tabletten wirkten wahre Wunder. Trotz des fauligen Geschmacks im Mund war Eve tatsächlich völlig nüchtern, als sie vor dem schlanken, silbrigen Gebäude des Senders aus ihrem Wagen stieg.
Das Haus war Mitte der Zwanzigerjahre errichtet worden, als der Medienboom derart astronomische Höhen erreicht hatte, dass man damit größere Gewinne erzielte als mit der gesamten Wirtschaft eines kleinen Landes. In dem elegantesten und größten Gebäude der Broadcast Avenue gab es mehrere Tausend Angestellte, fünf hochmoderne Studios einschließlich des luxuriösesten Nachrichtenraums der gesamten Ostküste sowie genügend Strom, um Übertragungen in jeden Winkel des Planeten und zu sämtlichen Stationen in der Erdumlaufbahn zu ermöglichen.
Der Ostflügel, in dessen Richtung Eve dirigiert wurde, ging auf die Third Avenue hinaus, deren vornehme Büro- und Apartmenthäuser speziell nach den Bedürfnissen der Medienindustrie angelegt waren.
Wegen des dichten Luftverkehrs hatte sich die Kunde von dem neuen Mordfall bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Sicherung des Tatorts würde somit sicher ein ziemliches Problem. Noch während Eve um das Gebäude herumfuhr, telefonierte sie mit der Zentrale und forderte Luftbarrikaden und zusätzliche Schutzschirme für den Boden an. Die Ermittlungen in einem Mordfall direkt vor der Haustür eines der größten Sender würde bereits schwierig, ohne dass sich die Schaulustigen wie die Geier auf den Ort des Verbrechens stürzten.
Sie verdrängte ihre Schuldgefühle, stieg aus ihrem Wagen und näherte sich ruhigen Schritts dem Tatort. Die uniformierten Beamten hatten ganze Arbeit geleistet, wie sie erleichtert feststellte. Sie hatten die Umgebung geräumt und den Seiteneingang des Gebäudes umgehend versiegelt. Natürlich wimmelte es bereits von Reportern und Kameraleuten. Sie ließen sich einfach nicht fernhalten. Doch zumindest blieb ihr genügend Raum zum Atmen.
Sie hatte sich bereits ihre Dienstmarke an die Jacke gesteckt und ging durch den Regen in Richtung der Plane, die irgendein weiser Kopf über dem Leichnam ausgebreitet hatte.
Die Regentropfen fielen mit einem geradezu melodiösen
Weitere Kostenlose Bücher