Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
Felswand. Sie ließen die Gestalt nicht aus den Augen. Es war eine Frau mit langen hellen Haaren, die mit Seetang um die Hüfte und jeweils einem großen Seestern über den Brüsten bekleidet war. Sie hatte große flossenähnliche Ohren. Langsam kam sie auf den Strand zu.
„Ich tue euch nichts, ich bin nur eine Botin, die geschickt wurde, um euch zu warnen“, sagte sie. Dann hob sie die Hände mit den Handinnenflächen nach außen, damit die Mädchen sehen konnten, dass sie keine Waffen oder Ähnliches bei sich trug. Zwischen ihren Fingern glänzten lediglich dünne Schwimmhäute. Langsam kam sie auf die Mädchen zu und hielt ihnen die Hand entgegen. Nach kurzem Zögern stellten sie sich vor und fragten, wovor sie gewarnt werden sollten und wer oder was sie eigentlich war. Die Frau kicherte.
„Ich bin eine Meeresnymphe. Meinen Namen könnt ihr hier außerhalb des Wassers gar nicht aussprechen. Ich wurde geschickt, um euch zu warnen. Ein sehr altes und mächtiges Wesen ist hier in der Gegend aufgetaucht. Genaueres darf ich euch nicht sagen. Die Gesetze, ihr wisst schon bescheid? Ich soll euch nur sagen, dass dieses Wesen mächtig, alt, böse und gefährlich ist. Ihr müsst euch vor ihm in Acht nehmen. Achtet auch auf eure Freunde!“ Emily und Dascha verzogen fragend das Gesicht.
„Wer hat dich denn geschickt?“, fragte Emily dann. Die Nymphe schüttelte kichernd den Kopf.
„Die Gesetze?“, fragte Dascha.
„Nein, aber mein Auftrag war nur euch zu warnen, nicht jedoch euch Dinge zu erklären, die ihr noch nicht wissen müsst“, antwortete die Nymphe und lief zurück zum Wasser, in das sie sich mit einem Hechtsprung stürzte. Dann war sie auch schon so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
„Wieder einmal die Feststellung: Nicht mal Nächte sind meine Nächte. Soviel zum Thema wir haben unsere Ruhe bis zur nächsten …“, setzte Dascha an, doch dann legte ihr Emily plötzlich die Hand auf den Mund. Dascha schaute zwar verwundert, war aber still. Dann ließ sie sich von Emily in den Schatten eines Felsvorsprungs ziehen und beide Mädchen duckten sich.
Zwei Gestalten betraten den Strandabschnitt. Eine war groß gewachsen, hatte lange dunkle Locken und trug ein auffälliges langes Kleid. Es war über und über bedeckt mit Rüschen und Schleifen. Ins Haar hatte sie sich einen kleinen Hut gesteckt. Die zweite Person war klein und zierlich. Im sanften Abendwind wippten zwei lange schwarze Zöpfe, die sie sich auf dem Kopf geflochten hatte. Ihr Körper war durch einen langen schwarzen Mantel verhüllt, das einzig noch erkennbare waren ihre prolligen, schwarzen Stiefel. Emily stutzte. Die Große kannte sie doch irgendwoher? Sie schaute kurz zu Dascha, die offensichtlich auch nachdachte, woher sie die Gestalt kannte. Angestrengt lauschten sie ein paar Gesprächsfetzen, die der Wind zu ihnen hinüber trug. Leider verstanden sie nicht viel, nur dass die Dame in dem auffälligen Kleid der kleineren energisch deutlich machte, dass sie jetzt eine sehr wichtige Prüfung bestehen müsse. Die kleinere schwieg die meiste Zeit, nur gelegentliches Nicken, Gähnen oder komische brummende Laute gab sie von sich. Die beiden Frauen blieben nicht lange, schon kurze Zeit später verabschiedete sich die kleine und ging. Die größere blieb noch ein bisschen stehen und schaute schweigend aufs Meer heraus. Dann schaute sie sich um, und im Licht des inzwischen aufgegangenen Mondes konnte Emily ihr Gesicht erkennen; es war Karina. Karina war die Besitzerin eines kleinen Ladens im Dorf, die ihnen bei der Sache mit den Meerwesen geholfen hatte. An die hatten sie gar nicht mehr gedacht, seit alles vorüber war. Sie duckte sich tiefer in den Schatten des Felsens und Karina ging, ohne sie gesehen zu haben. Dascha und Emily warteten noch eine Weile, dann kamen sie wieder hervor.
„Das war doch Karina, die Besitzerin von dem Laden auf dem Dorfplatz, oder?“, fragte Dascha nach.
Emily nickte.
„Genau, die hatte ich völlig vergessen. Naja, so schnell sieht man sich wieder. Aber sag mal, hast du verstanden, um was es jetzt ging?“ Dascha zog ratlos die Schultern nach oben.
„Irgendwas von wegen die Kleine im Mantel muss eine wichtige Prüfung bestehen, bei der sie auf keinen Fall versagen darf. Glaubst du, das hat was mit dem bösen Wesen zu tun, das die komische Nymphe angekündigt hat?“, fragte sie zurück.
Emily seufzte.
„Der ganze Kram ist grade einmal acht Wochen her, lange war die Erholungspause
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