Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
weh! Und umziehen kann ich mich jetzt auch nicht mehr! Wer bist du eigentlich?“, fragte sie total sauer. Sie kannte das Mädchen nicht. Es war klein, keine ein Meter sechzig. Auch sie trug zwei lange Zöpfe, ihre waren aber schwarz. Sie war sehr schlank, der Rock rutschte ein wenig. Eisblaue Augen schauten sie schuldbewusst an, untermalt von den tiefsten und dunkelsten Augenringen, die Emily je gesehen hatte.
„Tut mir voll leid, ehrlich. Ich bin immer so müde und ungeschickt … Sally Morgenstern ist mein Name, ich bin heute den ersten Tag hier. Fängt ja gut an“, sagte sie seufzend. Dann ging sie an Emily vorbei ins Klassenzimmer. Sie setzte sich auf einen leeren Platz, stellte den Kaffeebecher vor sich auf den Tisch, legte ihre Schultasche daneben, legte den Kopf drauf und schloss die Augen. Emily schüttelte den Kopf und setzte sich wie immer neben Dascha. Tara hatte in der ersten Reihe Platz genommen und ihre Sonnenbrille abgelegt. Sie saß sehr gerade und schaute sich um. Emily konnte jetzt ihre Augen sehen; große, dunkelblaue traurige Augen. Das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen lag immer noch auf ihrer Schultasche und schnarchte inzwischen leise vor sich hin. Als die Lehrerin hereinkam und Tara und Sally nach vorne rief, wachte Sally erschrocken auf und schmiss vor Schreck ihren Becher um.
„Na, das kann ja heiter werden mit der“, flüsterte Dascha kichernd. „Das ist das Mädchen, was gestern mit Karina beim Strand war“, flüsterte Emily zurück, als Sally mit dem Rücken zu ihnen stand, um die Scherben des Bechers wegzuwerfen. Dascha stutze, doch sie musste Emily recht geben. Sally Morgenstern, achtzehn Jahre, war definitiv das Mädchen, das eine wichtige Prüfung zu bestehen hatte.
Während der nächsten beiden Stunden behielt Emily die beiden im Blick. Tara war eine ruhige und aufmerksame Schülerin, während Sally eher faul und abwesend wirkte. Als es zur Pause läutete und alle auf den Schulhof strömten, wollte Emily schnell zum Wohnhaus herüber, um sich umzuziehen. Die kaffeegetränkten Klamotten waren kalt und ungemütlich. Auf dem Weg kam ihr und Dascha Cindy entgegengelaufen. Cindy, die sich jeden Freitagabend bis Samstagabend in eine Meerjungfrau verwandelte, bis ein Kind aus wahrer Liebe entstehen und von ihr geboren werden würde. Cindy war klein und hatte lange schneeweiße Haare, die sie zum Zopf gebunden trug. Sie war bei der Sache mit der Sirene und der Nixe eine Wichtige Verbündete gewesen.
„Dascha, Emily, wartet mal!“, sagte sie atemlos und zog die beiden zur Seite.
„Wegen dieser Tara kommst du, oder?“, fragte Emily leise. Cindy schaute sich um, dass auch ja niemand zuhörte.
„Diese Tara ist das geringere Übel! Jemand ist hier aufgetaucht, jemand Böses und sehr Mächtiges … ich kann seine Präsenz spüren! Tara … Tara ist nur eine Schachfigur, glaube ich“, sagte sie dann. „Also ich frag mich eher, wer diese Sally ist“, warf Dascha ein. Cindy zuckte mit den Schultern und schaute ratlos.
„Auf jeden Fall ist sie ein Mensch, ein scheinbar ganz normaler. Aber sie macht einen total schwachen Eindruck, irgendwas stimmt bei der auch nicht. Ich kann euch leider nur überhaupt nicht sagen, was“, musste sie zugeben. Die drei Mädchen schauten auf den Schulhof, wo Tara bei Koko und Kira stand und sich geduldig einen Redeschwall von Kira anhörte. Koko und Kira waren ein lesbisches Pärchen, die ebenfalls mit den Ereignissen von vor acht Wochen zu tun hatten. Sally stand neben der Treppe zum Eingang des Schulgebäudes und schaute zu ihnen herüber.
„Sally scheint Tara zu beobachten“, stellte Emily fest.
„Ich hoffe, ihr findet heraus, was los ist. Wenn ich kann, helfe ich euch natürlich“, sagte Cindy, dann verschwand sie wieder. Emily und Dascha schauten sich besorgt an. Dann läutete die Schulglocke und die beiden mussten wieder zurück. Umgezogen war Emily immer noch nicht, doch jetzt, wo ihnen auch Cindy bestätigt hatte, dass etwas passieren würde, war ihr der Kaffee auf der Schuluniform relativ egal geworden. Kira hatte die beiden entdeckt und wartete kurz auf sie. Koko stand mit leicht genervtem Gesichtsausdruck hinter ihr.
„Habt ihr die gesehen? Tara heißt sie, ist neu hier, seit heute! Was für ein nettes Mädchen! Aber stellt euch mal vor, die wollte doch glatt meine Einladung zur nächsten Strandparty ablehnen, weil sie nicht gerne am Wasser ist, gibt’s denn so was?“, quasselte Kira sofort los. Kira und Koko waren beide
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