Tödliche Legenden Sammelband 1 (German Edition)
dem Rucksack und leuchtete den Boden ab. Der Lichtkegel der Taschenlampe erfasste etwas. Leyla hob es auf und klopfte den Schotter ab. Es war ein kleiner, alter Stoffhase aus Leinen. Die Füllung rieselte an einer Pfote heraus, statt Knopfaugen waren mit grobem Garn zwei X aufgenäht.
„Du machst dich bestimmt gut auf dem Cover!“, sagte Leyla grinsend und steckte ihn ein. Da hörte sie dieses Kichern wieder. Sie fuhr herum. Tatsache. Da stand ein kleines Mädchen in dem Eingang, in dem vorhin der Schatten verschwunden war. Die Kleine hatte lange blonde Locken, trug ein rotes, knielanges Kleid und war barfuß.
„Hey, was treibst du hier?“, rief Leyla ihr zu. Da hörte sie erneut das Kichern, aber diesmal hinter sich. Als sie über die Schulter nach hinten schaute, sah sie wieder einen Schatten verschwinden, diesmal in einer Hausruine. Als sie wieder zu dem Eingang schaute, war das Mädchen in dem roten Kleid verschwunden. Moment, wieso hatte sie die Kleine eigentlich so deutlich sehen können? Der Mond schien zwar, aber er stand genau hinter einem der Türme. Sie hatte ja nicht mal den Hasen ohne Taschenlampe sehen können. Was ging hier vor? Unschlüssig stand Leyla neben dem Brunnen.
„Es gibt keine Geister!“, sagte sie dann zu sich selbst und ging zu dem Eingang, in dem das Mädchen verschwunden war. Vielleicht hatte sich hier eine Gruppe versteckt. Ein religiöser Kult oder sowas, der Kinder benutzte, um neugierige Besucher zu verjagen. Bestimmt hatte ihr ihr Verstand nur einen Streich gespielt, als sie das Mädchen so klar sehen konnte. Aber davon ließ sich eine Leyla Zilling nicht abschrecken. Also ging sie auf den kleinen Eingang zu, der sich zwischen zwei halb verfallenen Häusern in der Burgmauer befand. Es war vergittert, aber mehrere der rostigen Stangen waren herausgebrochen und lagen im Schotter. Es war also kein Problem für Leyla, sich seitlich durch die kleine Lücke zu schieben. Neugierig leuchtete sie die Wände und den Boden ab. Es war feucht und kalt, ein paar Reste eines Teppichs lagen herum. An den Wänden hingen Fackeln, dazwischen verblichene Bilder. Anhand der Deckenhöhe schätze Leyla, dass die Burg mindestens zwei Stockwerke haben musste. Aber es würde sich wohl kaum jemand im oberen Bereich der Burg verstecken, wenn er nicht entdeckt werden wollte. Also entschloss sie sich, einen Zugang zu den Kellergewölben zu suchen. Sie hatte gerade die ersten Schritte gemacht, da flammten auf einmal die Fackeln auf.
„Wow!“, schrie sie erschrocken auf und ließ die Taschenlampe sinken. Hektisch schaute sie sich um und erschrak gleich nochmal. Da stand das kleine Mädchen in dem roten Kleid wieder, ein Stück von ihr entfernt, dort wo der Gang einen Knick nach rechts machte. Jetzt sah sie auch, warum sie das Mädchen so deutlich gesehen hatte; die Kleine leuchtete.
„Befreist du mich?“, fragte das Mädchen mit einer seltsam hallenden Stimme. Leyla schluckte.
„Wer … oder was bist du? Wie heißt du?“, fragte sie, verärgert über das Zittern in ihrer Stimme. Das Mädchen machte den Mund auf, doch in dem Moment kam ein schwarzer Schatten angeschossen und riss sie mit sich.
„Hey!“, rief Leyla und rannte los. Doch der Gang war leer. Nichts war von dem seltsamen, leuchtenden Mädchen und dem Schatten zu sehen.
„Unmöglich“, hauchte sie, als sie sich in die Richtung drehte, aus der der Schatten gekommen war. Dort war nichts außer einer rundlichen Mauer. Dahinter musste sich einer der Türme befinden, aber offensichtlich gab es hier keinen Zugang. Auch beim gründlichen Abtasten der Mauer fand Leyla nichts, keine versteckten Mechanismen oder etwas in der Art.
„Zumindest nichts, was ich finden kann“, sagte Leyla verunsichert, bevor sie langsam dem Gang folgte. Leuchtende kleine Mädchen, Ominöses Kichern und aus Mauern springende Schatten, dazu aus dem Nichts brennende Fackeln, das ging doch etwas zu sehr über die Grenzen des Normalen hinaus. Als der Gang wieder einen Knick machte, tat sich eine große Halle vor ihr auf. Auch hier brannten die Fackeln an den Wänden, genau wie die Kerzen des metallisch glänzenden Kronleuchters. Rotes Wachs tropfte von ihnen auf den Boden der Halle. Auf der einen Seite war das mit Holzbrettern vernagelte Tor, auf der gegenüberliegenden Seite führte eine Treppe zum oberen Stockwerk, wo sich diese nach links und rechts teilte. Scheinbar war der untere Teil der Burg nur ein Rundgang, Wohnräume befanden sich in der oberen Etage. Von
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