Toedliche Luegen
Deutschland bleibst. Es ist inzwischen einige Tage her, seit ich ihn zuletzt zu Gesicht bekommen habe.“
Auch ohne dass er es aussprach, wusste Beate, dass er seinen Bruder in dieser Zeit nicht ein einziges Mal vermisst hatte. Ernüchtert beschloss sie, jeden weiteren Versuch zu unterlassen, Pierre mit ihrer Begeisterung über den Besuch bei Suse anstecken zu wollen.
Eigenartig, wä hrend Alain gar nicht genug bekommen konnte von ihren Geschichten aus der Zeit, bevor er in ihr Leben getreten war, schien es Pierre überhaupt nicht zu interessieren, warum sie, ohne auf seine Wünsche Rücksicht zu nehmen, zu Suse hatte fahren müssen. Seine Gleichgültigkeit schmerzte sie. Wie sehr unterschieden sich doch die beiden Männer, die momentan in ihrem Leben eine so große Rolle spielten.
Tapfer schluckte sie ihre Enttäuschung hinunter, schlang die Arme um Pierres Nacken und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich freue mich auf jeden Fall, wieder hier zu sein. Bei dir. Darf ich dich als kleine Entschädigung für meine Abwesenheit heute Abend zum Essen einladen? Bloß wir beide, was meinst du? Oder hast du etwas anderes vor?“
Er räusperte sich und fuhr ungeachtet seiner perfekt sitzenden Frisur mit den Fingern durch seine Haare. Genau wie Alain, wenn er nervös war oder ihn unerfreuliche Angelegenheiten beschäftigten!
„Nun ja, zwar habe ich gehofft, du würdest so schnell wie möglich zurück nach Hause kommen, dennoch war es etwas überraschend, als du vorhin ohne jede Ankündigung vor der Tür gestanden hast. Ja, ich habe in der Tat bereits eine Verabredung getroffen. Es tut mir leid, kurzfristig kann ich das Geschäftsessen nicht absagen. Es ist seit mehreren Tagen geplant und äußerst wichtig, sodass ich die Verhandlungen nicht meinen Anwälten überlassen kann.“
Mit einer sanften Streicheleinheit glättete Beate die gefurchte Stirn ihres Vaters. „Mach t nichts, vorerst bleibe ich ja hier, sodass wir ein gemeinsames Essen verschieben können. Ich wollte ohnehin zeitig zu Bett gehen. Morgen muss ich fit sein, wenn ich wieder arbeiten gehe.“
Pierres missb illigendes Kopfschütteln überging sie kommentarlos. Sie wollte ihre gute Laune nicht mit diesen leidigen Diskussionen über Sinn oder Unsinn ihrer Arbeit aufs Spiel setzen.
„Ist er endlich weg?“
Ohne dass es zuvor geklopft hatte, öffnete sich geräuschlos die Tür zu ihrem Zimmer und Alains schwarzer Haarschopf schob sich durch den Türspalt.
Mi t einem leisen Aufschrei fuhr Beate herum und prallte an die breite Brust des Mannes, der vor ihr wie der Eiffelturm aufragte, breitbeinig, die Fäuste in die schmalen Hüften gestützt – die personifizierte Versuchung. Sie hatte ganz vergessen, wie leise er sich bewegte. Und dass er sich stets einen Heidenspaß daraus machte, sie zu überraschen, zu ärgern, zu erschrecken.
Er grinste verschmitzt, während sie kleine Teufel in seinen strahlend blauen Augen begrüßten. Dieses Detail hatte sie nicht vergessen. Niemals würde sie diese Augen vergessen können. Diesen Mann!
„Alain! Du?“
„Ja, ich“, erwiderte er und sein Lachen klang jungenhaft fröhlich, als er Beate in die Höhe hob und sich mit ihr um seine Achse drehte. „Ich hoffe, du hast keinen anderen Mann erwartet.“
Das goldene Licht der Abendsonne tanzte in seinem Gesicht, verlieh seiner dunklen Haut einen warmen Schimmer und ließ seine weißen Zähne hell aufblitzen, als er ihr ausgelassen zulachte. Er sah in diesem Moment so schön aus, dass ihr der Atem stockte.
Mit einem flauen Gefühl im Magen wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
„Lass mich runter“, sagte sie und ihre Stimme wie das Quieken eines Ferkels.
„Ganz sicher nicht“, gab er neckend zurück, weil er gar nicht daran dachte, ihrer Aufforderung zu folgen.
„Ich will, dass du mich sofort loslässt.“ Unwillkürlich geriet sie in Panik. Der Gedanke, in ihn verliebt zu sein, jagte ihr Todesängste ein.
„Sag bitte.“
„Verdammt noch mal, ich werde mich nicht wiederholen!“
Ihr scharfer Ton ließ ihn die Stirne runzeln. Gehorsam setzte er sie ab. „Was hast du?“, erkundigte er sich besorgt.
Sie vergrößerte den Abstand zwischen ihnen, wenngleich ihr klar war, dass sie sich unmöglich benahm und selbst eine Entfernung von hier bis zum Mond nicht ausreichen würde, um sie vor ihm zu retten, aber sie konnte nicht anders.
„Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn du mich so erschreckst. Wie oft soll ich dir noch
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