Toedliche Luegen
Vergewaltigt.“
Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, formten sich zu einem Damoklesschwert, das über Alains Hoffnungen schwebte und die ersten zaghaften Träume seines Lebens bedrohte. Sie hatte die Wahrheit hören wollen, sagte sich Beate. Und die hatte sie bekommen. Abgeschossen aus zwei Läufen, mitten zwischen die Augen.
Obwohl er sich mit all seinen Sinnen auf Beate konzentrierte, spürte er nicht das kleinste Anzeichen von Entsetzen, Abscheu oder Bestürzung. Kein Aufschrei, kein Zusammenzucken. Nicht einmal den Bruchteil eines Augenblicks hielt sie inne mit dem Liebkosen seiner verunstalteten Haut.
Die Sekunden tropften stetig in das Stundenglas, während der Satz wie ein Pendel durch den Raum schwang. Sein Geständnis schien ihn mehr zu beeindrucken als Beate, die noch immer keinen Ton von sich gab. Hatte er bisher die Tatsache der Misshandlung zu leugnen und später zu verdrängen versucht – schließlich konnte er sich an nichts erinnern und Zeugen hatten sich selbstverständlich keine gemeldet –, glaubte er jetzt, nachdem es endlich ausgesprochen war, die Realität akzeptieren zu können.
Er war von Unbekannten entführt worden. Er war von ihnen gequält und sexuell missbraucht worden. Doch er wollte sich nicht mehr länger von den Stimmen in seinem Unterbewusstsein beherrschen lassen. Denn erst, wenn er sich ihnen beugte, hätten seine Peiniger wirklich über ihn triumphiert.
„Fer rard faselte von unsichtbaren Spuren deiner Misshandlung. Dass er so etwas gemeint hat, habe ich nicht geahnt. Aber weißt du, Alain, es ist mir völlig egal, was diese Bestien gesagt haben. Warum hörst du nicht auf deine innere Stimme und vertraust dir und deinen Gefühlen? Wenn du noch nicht soweit bist, dann sage es mir. Vorher werde ich dich nicht anfassen.“
Er richtete sich auf und stützte sich auf seinen Ellenbogen. Mit seltsamer Mie ne betrachtete er Beate, gerade so, als würde er sich zu erinnern versuchen, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Er hatte Schock, Ärger oder Mitleid erwartet. Auf ihrem Gesicht konnte er indes lediglich Besorgnis entdecken.
„ Du wendest dich nicht ab?“
Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er es bedauerte, so viel über sich erzählt zu haben. Sie dagegen wollte um keinen Preis, dass es ihm leidtat, sie ins Vertrauen gezogen zu haben.
Doch wieso hatte er es getan? Warum erzählte er ihr diese Dinge über sich? Wollte er sie für sich einnehmen oder wollte er sie abstoßen?
Er senkte den Blick und schien auf ihr Urteil zu warten. Als er eine kleine Bewegung machte, um sich von ihr zu entfernen, streckte sie unwillkürlich die Arme aus. Ihre Umarmung hatte etwas Beschützendes, wenngleich dies bei einem so breitschultrigen Mann wie Alain ein wenig unglaubhaft war. Unwillkürlich versteifte er sich. Aber Beate ließ ihn nicht los und so akzeptierte er schließlich zu ihrer und vielleicht auch zu seiner Überraschung ihre Umarmung.
„Es hat keinen Sinn, Zeit mit Selbstvorwürfen zu verschwenden. Vor allem dann nicht, wenn du die Dinge nicht ändern kannst. Unser Leben ist zu kurz dafür, das haben wir doch mehr als deutlich bei Suse gesehen. Und was hättest du tun können, um das zu verhindern? Du solltest glücklich sein, dass du … überlebt hast.“
„Darüber soll ich glücklich sein?“ Er lachte hart und unfroh. „Ich wünschte, es wäre so einfach. Manche Menschen sind einfach nicht für das Glücklichsein geschaffen. Ist dir das noch nie in den Sinn gekommen?“
Für einen Mann, der jede Minute seines Lebens mit Planen, Verwalten, Kämpfen und Erobern verbracht hatte, war der Augenblick des Sichergebens eine äußerst seltene Erfahrung. Er fühlte sich benommen, als ob sich ein warmer Nebel über ihn gesenkt und die Ecken und Kanten dieser Welt verwischt hätte. Er konnte sich nicht erklären, was dieses Selbstbekenntnis heraufbeschworen hatte, aber irgendwie ergab ein Wort das andere, bis er mit Geheimnissen herausplatzte, die er noch keinem erzählt hatte. Es wäre ihm weitaus lieber gewesen, Beate hätte sich über ihn lustig gemacht oder sich kühl von ihm distanziert. Ihr Verständnis und ihr Mitgefühl dagegen waren ihm unerträglich
„ Es ist das erste Mal, dass du mit einer Frau zusammen bist, seit das passiert ist.“
Er nickte. „Du warst die Erste, die mir danach über den Weg gelaufen ist. Die Einzige, die mein Interesse wecken konnte. Und deswegen hatte ich Angst vor deiner Reaktion, Bea. Wenn sich deine Gefühle für mich
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