Toedliche Luegen
Pierre griff betont gelassen nach der Serviette und tupfte sich akribisch über die Lippen, ehe er einen Schluck Wein nahm. „Ein Freund überlässt mir seine Yacht samt Crew, aber ein Urlaub allein würde mir keinen rechten Spaß machen.“
Beate war dermaßen verblüfft von Pierres Vorschlag, dass ihre Stimme schlichtweg versagte. Mit offenem Mund saß sie da und stierte ihn an, die grünen Augen groß und rund wie Wagenräder.
Geduldig wartete Pierre auf eine Antwort. Manchmal, wie in just dieser Sekunde, kam es Beate so vor, als stammte er von einem anderen Planeten, wo alle Bewohner schick und elegant gekleidet waren und sich korrekt benahmen, wo alles schön und geordnet zuging und es weder Hektik noch Schmutz gab, wo nichts und niemand die Perfektion in Gefahr brachte, die er so liebte. Konnte das wirklich normal sein?
„Und? Hat denn keiner Lust auf ein paar Wochen Seeluft und Urlaub?“
S prachlos schüttelte Beate den Kopf. Atlantik! Mittelmeer! Auf einer Yacht! Endlich brach sich ihre Begeisterung in einem heiseren Jubelschrei Bahn. Ungestüm fiel sie Pierre Germeaux um den Hals. „Jajaja! Sofort! Ich liebe nichts so wie das Meer. Das ist einfach toll! Ich bin auf jeden Fall dabei, gar keine Frage.“
Ein schmatzender Kuss landete auf Pierres Wange, bevor sie ihn mit Fragen bombardierte.
„Und was ist mit dir?“, erkundigte sie sich bei Alain, als ihr endlich , so ungefähr ein Jahr später, seine zurückhaltende Schweigsamkeit auffiel.
E r mühte sich, seiner Stimme einen gleichmütigen Ton zu geben, aber Beates feinem Gespür entgingen nicht die Unsicherheit und ein leichtes Zittern, als er lässig abwinkte. „Bedaure, ihr müsst wohl auf mich verzichten, da ich in dieser Zeit meine Doktorarbeit verteidigen werde. Mein Mentor hat den Termin bereits vor einigen Wochen festgelegt.“
„Davon hast du gar nichts erzählt.“
„Meinen Glückwunsch, Brüderchen!“
Ein hämisches Grinsen lag bei di esen Worten auf Pierres Lippen, das Beate mit Unwillen zur Kenntnis nahm. Doch sie hatte es satt, schon lange unendlich satt, ständig den Streit der ungleichen Brüder schlichten zu müssen. Deshalb schüttelte sie bloß den Kopf, was Pierre eher amüsierte, als zum Einhalten veranlasste.
Mit der von ihm gewohnten Eile erhob sich Alain vom Tisch, obwohl er erst wenige Bi ssen zu sich genommen hatte. „Ihr entschuldigt mich, ich habe noch zu arbeiten“, quetschte er zwischen den Zähnen hervor und würdigte Beate und Pierre dabei keines Blickes. Seine mahlenden Backenknochen verrieten den Aufruhr, der in ihm wütete. Er fühlte Beates Augen wie eine Dolchspitze auf sich gerichtet und wandte ihr abrupt den Rücken zu, um so schnell wie möglich das Zimmer zu verlassen, bevor das teure Porzellan ein Opfer seiner Wut werden konnte.
Mitten in der Nacht wurde Beate wach. Sie lag stocksteif vor Schreck und lauschte mit angehaltenem Atem, nachdem sie das Geräusch als eine Tür identifiziert hatte, die leise geschlossen wurde. Ihre Tür! Auf Zehenspitzen schlich jemand durch das Zimmer. Sie hörte, wie er seine Schuhe von den Füßen streifte.
„Es ist spät“, murmelte sie und gähn te, ohne die Augen zu öffnen.
Ungeachtet dieses deutlichen Hinweises, dass sie in Ruhe weiterschlafen wollte, spürte sie, wie die Matratze unter ihr nachgab und sie weiter zur Mitte rollte, als sich Alain neben sie auf das breite Bett legte.
„Ich bin putzmunter .“
Sie seufzte verhalten und drehte sich zu ihm um. „Alain …“
„Er hat den Termin absichtlich in diese Zeit gelegt!“, platzte er ihr grimmig ins Wort. Er musste seinem mühsam zurückgehaltenen Zorn endlich Luft machen, da er inzwischen das Gefühl hatte, daran zu ersticken. „Pierre wusste genau, ich würde nicht mitfahren können.“
„Woher hätte er das wissen sollen? Du hast es ja nicht für nötig erachtet, uns auch bloß ein Sterbenswort von deinem Abschluss zu erzählen, und ich glaube kaum, dass er Hellseher ist.“
„I ch werde die Promotion verschieben – nun erst recht!“
Jetzt war Beate ebenfalls hellwach. Sie rappelte sich hoch , durchbohrte die Dunkelheit, die ihn verbarg, mit ihren Augen. „Hast du vollkommen den Verstand verloren? Das wirst du nicht tun!“
„I ch kann dich nicht allein mit ihm lassen. Ich will bei dir sein. Morgen bin ich zur Konsultation bei meinem Professor, dann werde ich ihn zu einem Termin zu einem späteren Zeitpunkt überreden. Er wird zustimmen, du wirst sehen.“
„ Alain, provoziere
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