Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toedliche Luegen

Toedliche Luegen

Titel: Toedliche Luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
Vom Netzwerk:
mit der Liebsten?“
    Al ain richtete sich ruckartig auf, ohne sich um das plötzliche Schwindelgefühl zu kümmern, das ihn erfasste und aufstöhnen ließ. „Was? Was hast du gesagt?“
    Als Rumpelstilzchen die vor Verbitterung und Schmerz glühenden Augen bemerkte, hob er beschwichtigend die Hände und wich sicherheitshalber einen Schritt zurück. „Schon gut, is’ ja gut, beruhig’ dich, Mann. War bloß ’ne Frage, völlig unwichtig und harmlos. Es interessiert mich bestimmt nicht, was du vorhast. Alles klar?“
    Er reichte Alain wahrscheinlich nicht einmal bis zur Schulter und hatte gegen den jungen Mann nicht allein wegen seiner fehlenden Körpergröße keine Chance. Und er wusste genauso gut, dass er nur deshalb so alt werden konnte, wie er heute war, weil es ihm bislang stets gelungen war, Ärger aus dem Weg zu gehen.
    In versöhnlichem Ton versuchte er Alain aufzumuntern: „Komm jetzt, steh auf, dann zeig ich dir die beste Confiserie der Stadt. Ich lad dich ein. Du musst was essen, Kleiner.“
    „Ich muss … nach Hause.“
    „Nach Hause? Nach Paris etwa? Zu Fuß? Und vielleicht heut’ noch?“ Rumpelstilzchen kicherte mit seiner weibisch hohen Stimme und hielt sich die Stelle seines Körpers, an der gestandene Männer seines Alters ihren Bauch vor sich hertrugen. „Vergiss das ganz schnell wieder, weit kommste in deinem Zustand eh nich’. Also, häng noch einen Tag an deinen Aufenthalt in Brest und lass uns endlich essen gehen.“
    Der Clochard reckte seinen vor Dreck starrenden Zeigefinger in die Höhe und belehrte Alain: „Sich eine ordentliche Grundlage vor einer Ziehung zu schaffen, ist immer gut und wichtig. Außerdem kann man nie wissen, wann man wieder mal ein Tischlein-deck-dich und einen Goldesel als Begleitung hat.“
    Alain zog sich stöhnend an dem Alten auf die Füße und stolperte ohne Widerspruch hinter ihm her. Rumpelstilzchen hatte natürlich Recht, es wäre reiner Selbstmord, würde er sich in diesem Zustand auf sein Motorrad setzen, um nach Paris zurückzufahren. Soweit reichte erstaunlicherweise sein Denkvermögen, wenngleich es ihn wunderte, dass bei seiner nächtlichen Ziehung nicht sämtliche Hirnzellen abgestorben waren. Am allerwenigsten beabsichtigte er indessen, mit einem Freitod seinem Bruder einen Gefallen zu tun. Das wäre zu einfach.
    Und überhaupt, wieso nach Hause? Wo war das? Mit Beate hatte er sich in der Villa Chez le Matelot heimisch gefühlt. Doch nun war sie auf und davon, mit dem smarten, blonden Schiffsoffizier auf den Weltmeeren unterwegs. Ungestört. Vom Winde verweht. Wie es aussah, hatte er mit Beate selbst das letzte bisschen Zuhause auf dieser Welt verloren.
    Nein, er musste heute nirgendwo hin. Niemand wartete auf seine Rückkehr. Auf ihn.
     
    Der Alte hatte ihm in der Tat nicht zu viel versprochen. Nach unzähligen Tassen starken Kaffees und etlichen Croissants ging es Alain schon wesentlich besser.
    Zufrieden und leidlich ausgenüchtert machten sich die beiden ungleichen Männer am späten Nachmittag auf den Weg zurück zum Hafen. Wie zufällig querten sie die Rue Henri IV und kamen am L'eau de vie vorbei. Automatisch verlangsamte sich Alains Schritt. Er musste nicht lange überlegen, dann hielt er den Alten am Ärmel seines zerfledderten Pullovers zurück und zog ihn wortlos mit sich die drei Stufen nach oben zur Tür.
    „Gott segne den Tag, an dem i ch das Bürschchen von der Buche gekratzt habe“, wisperte Rumpelstilzchen mit einem dankbaren Blick, den er gen Himmel schickte.
    Lautes Hallo schlug ihnen neben dem bereits bekannten Kneipengestank entgegen, als Alain die Tür öffnete und diese mit einer formvollendeten Verbeugung für Rumpelstilzchen aufhielt. Er erkannte seine Saufkumpane der vergangenen Nacht, die an einem der langen, blank gescheuerten Holztische saßen. Ihren verklärten Blicken nach zu urteilen, musste die Rechnung schon wieder eine beachtliche Länge aufweisen.
    „Revanche!“, rief Alain, als er die Matrosen der Fiancée de vent erkannte. Lachend klopfte er auf die Tischplatte und schüttelte dutzende Hände, die sich ihm entgegenstreckten. Die Seemänner hatten nicht vergessen, dass Alain am Vorabend ihre Zeche beglichen hatte. Und sie revanchierten sich bei ihm nicht nur an diesem Abend, sondern noch den Rest der Woche mit täglichen Einladungen.
    Dann lief die Fiancée de vent mit Destination Karibik aus. Doch während seiner Kneipentour durch Brest hatte Alain genügend Bekanntschaften geschlossen, dass es ihm

Weitere Kostenlose Bücher