Toedliche Luegen
ihn auf der Straße ab, um ihn als den vermutlich einzigen Augenzeugen auszuschalten.“
„ Eine gute Idee, Isa. Äh … ich meine natürlich, das wäre die beste Möglichkeit, um an diese Kerle heranzukommen.“
„ Hast du einen Sprung in der Schüssel, Lucien? Du kannst kein vernünftiges Wort mit diesem Mann reden und willst ihn trotzdem als Lockvogel einsetzen? Das wäre sein sicherer Tod. Und deshalb werde ich unter keinen Umständen mein Einverständnis geben und zulassen, dass du sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzt.“
„Wir heften uns an seine Fersen und lassen ihn keine Sekunde aus den Augen. Was sollte da passieren?“
„Bleibt immer noch … Nein, nein, nein! Eine blöde Idee! Wirklich blöd. Und so etwas von dir. Und bloß, um dir eine schnelle Aufklärung des Falles zu sichern. Lass dir etwas Besseres einfallen, Luce. Und dann kümmere dich beim Boss um eine Sicherheitsverwahrung für den Jungen. Wenn du mich suchst, du weißt, wo ich zu finden bin.“
Die Psychologin betrat die Zelle ihres Sorgenkindes. Vor ihrem üppigen Busen jonglierte sie einen Berg aus Handtüchern, Seife und Rasierzeug. Sie runzelte die Stirn, hatte sie doch nicht wirklich erwartet, Alain Germeaux mit einer derartigen Ausdauer auf dem Boden hockend vorzufinden.
Sie ahnte nicht, dass er sich panikartig in der schützenden Ecke verkrochen hatte, sobald er die Schritte hören konnte, die sich auf dem Gang seiner Zelle näherten. Wie ein verschrecktes Höhlentier hatte er die Augen geschlossen und beide Hände auf die Ohren gepresst.
„Guten Morgen, Monsieur. Wie haben Sie geschlafen?“
Als auch nach einer halben Ewigkeit nichts passierte, ihn niemand anschrie oder auf die Füße zerrte und schlug, hob er langsam, ganz langsam den Kopf.
Isabelle Didier musste nur in seine tief liegenden Augen mit den dunklen Rändern und die eingefallenen Wangen sehen, um sich die Antwort auf ihre Frage selbst geben zu können. Wahrscheinlich hatte er in dieser Nacht nicht eine Minute geschlafen. Nein, sie wollte es endlich von ihm persönlich hören! Warum sprach er nicht einmal auf solch unverfängliche Fragen an?
„Ich dachte mir, Sie wollten sich vielleicht waschen, deswegen habe ich Ihnen das hier mitgebracht. Soll ich Ihnen zeigen, wo sich die Duschen befinden? Das Bad ist gleich am Ende des Ganges. Kommen Sie.“
Sie streckte ih m einladend ihre Hand entgegen.
Verwundert beobachtete sie, wie Alain in der bereits bekannten Weise seine langen Beine an den Körper zog und sich beruhigend vor und zurück wiegte. Ein heftiges Zittern lief durch seinen Körper.
Also keine Dusche, ging es Isabelle deprimiert durch den Kopf.
„Meine Güte, Sie haben ja das Abendessen stehen lassen!“ Ihre Überraschung war echt, war es ihr selber doch noch nie derart schlecht gegangen, dass ihr das passiert wäre. „Hat es Ihnen denn nicht geschmeckt? Na ja, es ist bloß Kantinenessen, aber …“
Der Hunger treibt ’s allemal rein. In der Zwischenzeit waren mindestens dreißig Stunden vergangen, ohne dass Germeaux etwas zu sich genommen hatte.
„Was halten Sie davon, wenn ich ein Frühstück für uns beide hole? Alleine schmeckt es mir nämlich auch nicht.“
Was natürlich glatt gelogen war. Alain indes war nicht anzumerken, ob er sie durchschaut hatte. Er sah im Gegenteil ganz so aus, als hätte er ihr nicht einmal zugehört. Sein Blick war in sich gekehrt und auf verführerische Bilder aus einer Vergangenheit gerichtet, die ihm noch immer eine gemeinsame Zukunft mit Beate vorgaukelten.
„Was mögen Sie am lie bsten? Baguette oder Brötchen?“ Erwartungsvoll lächelte sie ihn an und wartete auf seine Reaktion.
Wie von selbst öffnete sich sein Mund. Alain schien in der Tat einen Moment lang zu überlegen, fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und bewegte stumm den Kiefer. Aber er antwortete nicht, sondern senkte den Blick und schloss seinen Mund wieder.
Lediglich mit Mühe gelang es der Psychologin, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Bitte, Alain, reden Sie mit mir. Ich möchte wirklich bloß wissen, was Sie gerne zum Frühstück essen. Es wäre doch schade, würde ich Ihnen das Falsche mitbringen.“
„Croissant“, flüsterte er mit brüchiger Stimme und kaum hörbar.
Überrascht zuckte Isabelles Braue nach oben und grinsend jubilierte sie: „Das ist wunderbar, die bevorzuge ich ebenfalls.“ Mit Kennermiene musterte sie Alains schlanken Körper und die harten Muskeln seiner Oberarme. „Obwohl ich eher
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