Toedliche Luegen
auf gesunde Kost getippt hätte, Joghurt und Müsli oder etwas anderes furchtbar Vernünftiges. Mögen Sie außerdem Marmelade zu Ihrem Croissant? Und was trinken Sie? Milch oder Kaffee?“
Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen und trat einen Schritt näher auf ihn zu, als sie bemerkte, was sie ni cht für möglich gehalten hatte – nämlich dass der Mann noch eine Spur bleicher wurde.
Die Hand auf den Mund gepresst schüttelte er den Kopf und stöhnte gequält auf. Er schluckte immer hastiger. Abgesehen von etwas Wasser und einer Unmenge Tabletten am gestrigen Abend hatte er nichts im Magen. Mit einem Ruck fuhr er hoch und würgte Galle aus, bis ihm die Tränen übers Gesicht rannen. Ekel schüttelte seinen entkräfteten Körper und er sank zu Boden, wo er sich zusammenrollte wie ein Embryo und erschöpft die Augen schloss.
Isabelle Didier überlegte angestrengt, was sie leichthin und unbedacht zu ihm gesagt hatte, konnte jedoch nichts Anstößiges dabei finden. Ihm unter diesen Umständen ein feudales Frühstück aufdrängen zu wollen, so wie sie es üblicherweise bevorzugte, hätte wohl wenig Sinn, erkannte sie nun selber und zog seufzend die Tür hinter sich zu.
„Schon etwas Neues, Isa, von unserem stummen Gast?“
Lucien Boyer drängte mit dem Ellbogen ungeniert zwei vor ihm stehende Kollegen zur Seite und reihte sich hinter Isabelle Didier in die Warteschlange ein. In der Hand hielt er seinen wie stets randvoll gepackten Teller mit großzügig belegten Brötchen. Überrascht und voll aufrichtigen Mitleids taxierte er Isabelles spartanisches Mahl.
„Was ist denn das? Bist du auf Diät?“, fragte er verwundert. „Ich mag dich so viel lieber, das weißt du hoffentlich. Oder gibt es da etwa“, er senkte bedeutungsschwer die Stimme, „einen anderen? Fin dest du nicht, Germeaux könnte ein bisschen … mmmh, jung für dich sein?“
Mit einem resignierten Seufzer überhörte sie den neckenden Kommentar des Hauptkommissars. Ihr Nerv für seine liebevollen Scherze hatte mit Alains Auftauchen arg gelitten.
„Unser Gast gerät in Panik bei der Ankündigung, dass er seine Zelle verlassen soll, oder wenn ich ihn bitte , mit dir zu reden oder eine längst überfällige Dusche zu nehmen. Er schläft nicht, zumindest nicht viel“, raunte sie Lucien Boyer zu, während ihr sehnsüchtiger Blick an einem verlockenden Stück Quarkcremetorte hängen blieb. „Und wenn ich den Park erwähne, in den er uns früher oder später zum Lokaltermin begleiten muss, möchte er am liebsten schreien und um sich schlagen. Doch selbst das wagt er nicht. Er lässt sich von seiner Angst regelrecht verschlingen. Es gibt kaum etwas, das Germeaux nicht in Aufruhr versetzt. Er hat bis heute nichts gegessen, zumindest weiß ich jetzt, dass er Croissants mag“, erzählte sie mit kläglicher Miene. „Ob er sich übergeben musste, als ich ihn nach Kaffee oder Milch fragte, kann ich dir schon nicht mehr sagen. Also gibt es Wasser zum Frühstück.“
Sie hob ratlos die Hände, seufzte zum Steinerweichen und deutete mit skeptischer Miene auf die trockenen Hörnchen. „Nicht dass du mich missverstehst – das ist für zwei erwachsene Personen.“
Lucien Boyer legte seine Hand auf ihren Arm und blickte sie zuversichtlich an. „Ich vertraue dir.“
„Das ist nett. Du wirst es mir jedoch nicht verübeln, dass mir im Moment das Vertrauen von Germeaux wesentlich lieber wäre.“
„ Was hältst du – nur so zum Ausgleich – von einem gemeinsamen Abendessen? Bei unserem Lieblingsitaliener? So wie früher?“ Bevor sie einen Einwand erheben konnte, ergänzte er: „Bis dahin habe ich die Protokolle der Pariser Kollegen durchgesehen und kann dir vielleicht ein paar hilfreiche Informationen liefern.“
Er bedachte seine geschiedene Frau mit einem treuen Dackelblick und drückte leicht ihren Arm zum Abschied.
Mit einem Tablett, auf dem sie die Teller mit Croissants und für jeden von ihnen einen Becher Kaffee platziert hatte, kam sie in die Zelle zurück. In altbekannter Weise zog Alain seinen Kopf ein, als sich die Tür öffnete.
Auch an diesem Tag kam die Psychologin mit dem Versuch einer Konversation keinen nennenswerten Schritt voran. Alains Zustand beunruhigte sie zunehmend. Er aß so gut wie nichts und das, was er auf ihr Drängen hin zu sich nahm, konnte er selten bei sich behalten. Er wurde immer teilnahmsloser. Seine Augen waren stumpf vor Müdigkeit, trotzdem schlief er kaum, wie Isabelle Didier bei ihren nächtlichen
Weitere Kostenlose Bücher