Toedliche Luegen
Eindruck nicht los, dass ihn die Angst lähmte , aus der überschaubaren Enge der Gefängniszelle wieder hinaus ins Leben gehen zu müssen. Wie deplatziert fühlte sie sich doch neben ihrem Vater. Sie gehörte zu Alain. Und er …
Brauchte er sie wirklich, wie es die Psychologin behauptet hatte? Er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte , und sie hielt es für ausgeschlossen, dass er etwas Derartiges einer Fremden gegenüber geäußert haben könnte. Aber wollte nicht sogar Jasdan vor einem halben Jahr genau das zwischen ihnen bemerkt haben? Sollten all die anderen im Recht sein und nur sie selber war zu blind für die Wahrheit? Wo aber hörte bloßes Begehren auf und fing wahre Liebe an?
Mit einem leisen Seufzer schloss Beate die Augen. Wie gerne hätte sie sich jetzt bei Alain angelehnt, seine Nähe genossen und ihm mit ihrer bloßen Anwesenheit gezeigt, dass sie für ihn da war.
Pierre indes hatte im Befehlston darauf bestanden, dass sie neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Es war nicht zu übersehen, wie er innerlich vor Wut kochte. Nicht genug damit, dass er seine Urlaubsreise auf ihr hartnäckiges Drängen hin vorzeitig hatte abbrechen müssen. Nein, nun musste er obendrein noch Babysitter für den Bastard spielen! Man konnte dem Sensibelchen doch nicht zumuten, mit dem Motorrad nach Hause zu fahren!
Langsam wurde es unerträglich, was Beate ihm abverlangte. Er musste endlich ein ernstes Wort mit ihr reden. Er hätte es, verdammt noch mal, schon längst tun sollen! So ging es keinesfalls weiter. Immerhin hatte er sie seinetwegen nach Paris kommen lassen und nicht für irgendwelche rührseligen Techtelmechtel mit Alain. Es war an der Zeit, etwas an dieser inakzeptablen Situation zu ändern.
Das angespannte Verhältnis der Brüder hatte Beate mittlerweile derart sensibilisiert, dass sie das drohende Unheil mit fast körperlicher Schwere spüren konnte. Sie ahnte, dass sie schon bald gezwungen sein würde, eine Entscheidung zu treffen – für Alain oder ihren Vater. Ein friedliches Leben mit beiden Männern unter einem Dach schien ihr nach den vergangenen Tagen unmöglich.
Seit fast einem Jahr versuchte sie , zwischen den Brüdern zu schlichten und zu vermitteln. Auf Dauer würde sie dieser ständigen nervlichen Belastung nicht gewachsen sein. Sie gab nicht gerne ein Ziel auf, doch in diesem Fall war es einfach unmöglich, Pierre und Alain Germeaux an einen Tisch zu bekommen. Zu lange hatte der Hass eine dicke Mauer um sie errichtet.
Und keiner der Männer war bereit , auch nur eine kleine Schicht davon abzutragen, damit man sich näher kam. Sie waren viel zu stolz und eigensinnig, um dem anderen die Hand zur Versöhnung zu reichen.
Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand, um zu einer Normalisierung der Beziehung zwischen den Brüdern beizutragen. Und wenn es nun trotz allem noch etwas gab, das sie übersehen hatte? Mit einem wehmütigen Lächeln erinnerte sich Beate an einen der klugen Sprüche von Mehli, dem Fischer, mit dem sie, der blonde Answer und ihre Freundinnen Karo, Cat und Suse so oft im Zeesenboot „Tina“ über den Bodden gesegelt waren. Wollte man seinen Worten glauben, durfte niemand behaupten, sein Bestes getan zu haben. Denn wer kannte schon die Grenzen seiner Möglichkeiten?
Ach, Mehli, wie sehr ich auch dich vermisse. Answer und ich, wir haben in der vergangenen Woche viel über deine schlauen und oftmals überflüssigen Sprüche gelacht.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu dem Kapitän der Segelyacht. Answer hatte sie seit ihrem Wiedersehen förmlich auf Händen getragen. Und doch träumte sie jede Nacht an Bord der „Bella“ davon, wie es sein würde, wenn sie wieder zurück in Paris und bei Alain war. Selbst als Answer neben ihr im Bett lag, war es nicht anders gewesen.
Und Answer hatte verstanden, als sie von Alain zu erzählen begann. Von da an unterließ der unglücklich verliebte Yachtkapitän jeden weiteren Versuch, ihr Herz für sich zu erobern. Ihm war bewusst, Beate bereits lange zuvor verloren zu haben. Vier Jahre gemeinsamen Studiums hatte er ungenutzt verstreichen lassen, obwohl sie sich in dieser Zeit täglich begegnet waren. Zu spät war ihm klar geworden, was ihm diese grünäugige Wildkatze bedeutete. Und dann hatte er zu viele Hoffnungen auf einen Segeltörn von wenigen Wochen gesetzt.
Und letztlich gegen einen unsichtbaren Gegner den Kürzeren gezogen.
Es tat Beate selbst jetzt noch weh, Answer enttäuscht zu haben, denn sie mochte ihn sehr gern.
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