Toedliche Luegen
dringen. Irgendwann würde sie über diese schmerzhaften Erinnerungen sprechen können. Vorausgesetzt, sie wollte dann noch mit ihm sprechen. Nie zuvor in seinem Leben war er so voller Zweifel und Schuldgefühle wie in dieser Sekunde. Er hielt sich nicht für sonderlich eingebildet – okay, er war überheblich –, doch alle Frauen tanzten, wenn er es wünschte, nach seiner Pfeife.
An dieser einen dagegen würde er sich die Zähne ausbeißen, davon war er überzeugt, seit sie das erste Mal an seine Tür geklopft hatte.
Er seufzte unhörbar , weil ihm längst klar war, wie unmöglich er sich verhalten hatte. Schnauzte sie an, überschüttete sie mit haltlosen Vorwürfen, die einfach lächerlich waren. Wie ein Elefant im Porzellanladen trampelte er auf der illegitimen Tochter seines Bruders herum, nur weil dessen Blut in ihren Adern floss. Als hätte sie sich Pierre als Vater ausgesucht!
Am besten, er fing gleich damit an, sich ein paar verdammt gute Argumente einfallen zu lassen, mit denen er Beate um Verzeihung bitten könnte.
13. Kapitel
Heute allerdings würde er keine Gelegenheit mehr für eine Entschuldigung haben, denn Pierre Germeaux betrat mit mürrischer Miene und ohne jeden Gruß das Zimmer.
Eilig verschwand Beate im Bad, wo sie kühles Wasser über ihr gerötetes Gesicht und die verquollenen Augen laufen ließ, um die Spuren ihres Gefühlsausbruches zu beseitigen.
„Ich hoffe, du bringst gute Nachrichten“, rief sie ihrem Vater betont unbekümmert zu. „Du siehst zufrieden aus.“
Was natürlich hanebüchener Unsinn war und offensichtlich auch Alain so empfand, denn er verzog verächtlich das Gesicht. Dabei fing er durch die geöffnete Badtür Beates warnenden Blick auf, der ihn einen bissigen Kommentar gehorsam verschlucken ließ.
„Ferrard wird eine passende Niere finden.“ Pierres Stimme klang eigenartig, ganz so als sträube er sich gegen diese Worte, die aus seinem Mund kamen. „Dieser machtgeile Gnom wird vermutlich bereits in der nächsten Woche die Transplantation vornehmen. Bist ein Glückspilz“, spie er vor Alain aus. Sein grimmiger Blick biss sich irgendwo über den Überwachungsmonitoren neben dem Bett fest. „Bedanke dich bei Beate und dem edlen, unbekannten Spender.“
Wie eine Kanonenkugel kam Beate aus dem Bad geschossen und riss ihren Vater beinahe zu Boden, als sie ihm um den Hals fiel. „Ist das wahr? Wie habt ihr das denn geschafft? Nachdem Ferrard von endlos langen Wartelisten gefaselt hat und dass die Chancen für ein passendes Transplantat eher schlecht stehen, hatte ich schon fast die Hoffnung aufgegeben. Und nun geht es so schnell! Mann, ausgerechnet wir haben ein derartiges Wahnsinnsglück!“
Germeaux zuckte die Schulter und knurrte: „Wie gesagt, manche Menschen kommen durch ehrliche und harte Arbeit zu etwas, andere durch unverdientes Glück.“
Beate bemerkte mit einem Stirnrunzeln, wie sich Alains Gesicht blutrot färbte und sich seine Hände zu Fäusten ballten. Am liebsten hätte sie die Köpfe der beiden Brüder gepackt und so lange zusammengeschlagen, bis sie endlich zur Vernunft kamen. Das Einzige, was sie davon abhielt, gewalttätig zu werden, war, dass sie sich nicht entscheiden konnte, wem sie zuerst den Hals umdrehen wollte.
A lso seufzte sie lediglich und bat leise: „Fangt jetzt bloß nicht an zu streiten. Ich habe keine Lust als Friedensstifter zu fungieren. Nicht heute.“
Wenige Tage darauf wurde Beate unfreiwillige Zeugin eines Telefonates, das Pierre Germeaux in seinem Büro im Erdgeschoss der Villa Chez le Matelot führte. Vermutlich hatte er die Zimmertür aus Versehen offen stehen lassen, denn Beate konnte sich nicht erinnern, diesen Raum jemals anders als verschlossen gesehen zu haben. So jedoch verstand sie noch im zweiten Stock jedes Wort, das Pierre ungewöhnlich lautstark von sich gab.
Erst sehr viel später vermutete Beate, der Chefarzt des Krankenhauses St. George, Doktor Ferrard, könnte der Gesprächspartner ihres Vaters gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt dagegen verstand sie den Sinn der Unterhaltung nicht im Mindesten.
Da sie sich mit Pierre zu einem Einkaufsbummel verabredet hatte, ging sie nicht, wie es der Anstand von einem wohlerzogenen Töchterchen aus gutem Hause verlangt hätte, in ihr Zimmer zurück , sondern verlangsamte lediglich ihren Schritt. Mit den Regeln standesgemäßen Benehmens hatte sie nun mal ihre Probleme, verteidigte sie sich und ihre Neugierde, was jeder getrost bei ihren alten
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