Toedliche Luegen
Gedächtnislücke zu haben, um nicht zugeben zu müssen, dass ihr an diesem Tag ein Besuch bei Alain wichtiger erschienen war. „Tut mir leid. Wirklich. Bin so schnell, wie’s ging, nach Hause gedüst und gerade erst zurückgekommen.“
„Du warst also im St. George?“
Jetzt wirkte er dermaßen wütend, dass Beate geschworen hätte, in seinen Augen Eissplitter zu erkennen.
„Ja. Es ist etwas Furchtbares passiert. A us heiterem Himmel ging es Alain heute total mies. Du musst mit Doktor Ferrard darüber reden. Persönlich. Vielleicht kannst du Alain helfen. Bitte, Papa.“ Sie sah ihn eindringlich an und betonte absichtlich die noch ungewohnte, vertrauliche Anrede. „Du musst ihm helfen!“
Germeaux stöhnte innerlich auf. Zum ersten Mal bereute er , Beate in sein Haus eingeladen zu haben. Wäre sie bloß eine Woche später in Paris aufgetaucht, sein Problem hätte sich längst erledigt. Denn dann befände sich dieser verfluchte Bastard dort, wo er von Anfang an hingehört hätte – unter der Erde.
Aber nein! Mit ihrer Unschuldsmiene und diesem Schmollmund machte sie ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie legte eine Hartnäckigkeit in Bezug auf Alain an den Tag, die geradezu an Unverschämtheit grenzte. Ausgerechnet er sollte Alain helfen! Konnte dieses naive Ding nicht ermessen, welche Zumutung das für ihn bedeutete? Natürlich konnte sie das nicht. Es gab so einiges, das ihren Horizont bei weitem überstieg. Vielleicht sollte er ihr die Wahrheit erzählen in der Hoffnung, sie würde daraufhin die Beine in die Hand nehmen und nach Hause fahren. Seine Augen blitzten diabolisch. Es wäre durchaus eine Überlegung wert.
Am nächsten Morgen stand Germeaux gemeinsam mit seiner Tochter vor dem Büro des Chefarztes. Sanft drückte sie seine Hand und lächelte ihn voll Wärme und Dankbarkeit an.
„Du findest mich in Alains Zimmer, da hinten am Ende des Ganges und dann links. Wenn du mit Ferrard alles besprochen hast, hols t du mich dort ab, nicht wahr?“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange. „Und anschließend gehen wir schön essen und machen uns einen gemütlichen Nachmittag.“
Vergnügt klopfte sie kurz darauf an Alains Tür.
„Sei gegrüßt, Onkelchen.“ Sie kicherte albern wie ein kleines Mädchen und zog sich einen Stuhl neben das Krankenbett. „Da du mir sicher keinen Platz anbieten wolltest, bediene ich mich selbst. Du hast sicher nichts dagegen.“ Beate schüttelte übermütig das inzwischen mahagonifarben getönte Haar. „Und selbst wenn, es wäre mir heute wirklich völlig schnurz!“
Sie hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, woher ihre gelöste Stimmung rührte. War es lediglich die Hoffnung, dass Doktor Ferrard mit Pierres Unterstützung eine Möglichkeit fand, Alain zu helfen? Oder war es …
Sie konnte nicht an sich halten und prustete ungehemmt los. So ein Quatsch! Niemals im Leben!
„Was? Was … gibt es?“
„Oh entschuldige, wenn ich mich mal kurz ohne dich amüsiere. Ich habe so meine Zweifel, ob du meine Belustigung auf deine Kosten teilen würdest. Du machst keinen sehr unterhaltsamen Eindruck.“
Sie grinste ihn schadenfroh an und erklärte mit brutaler Offenheit: „Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie sehr es mich befriedigt, dich hilflos wie einen Wurm, der auf dem Zahnfleisch kriecht, vor mir liegen zu sehen? Bei meinem ersten Besuch hast du dich als wahres Ungeheuer aufgespielt. Und nun – Sieh an, sieh an! – stellt sich heraus, dass du auch bloß ein Mensch vom Planeten Erde bist. Das beruhigt mich einigermaßen, musst du wissen. Ich hatte nämlich ernsthaft befürchtet, es mit dir Superman niemals aufnehmen zu können und mir stattdessen Minderwertigkeitskomplexe zulegen zu müssen. Ich! Na, Hilfe!“
Alain, noch ziemlich benommen und geschwächt von dem Zusammenbruch in der vergangenen Nacht, erheiterte aus einem unerfindlichen Grund das muntere Geplapper seiner Nichte. Ihm war längst bewusst, dass mit ihr die erste Frau vor ihm stand, die den Mut aufgebracht hatte, ihm ganz unverblümt ihre Meinung zu seinem widerwärtigen Benehmen an den Kopf zu knallen und ihn in seine Schranken zu weisen. Die sich nicht um den Preis der Unterwürfigkeit und Speichelleckerei sein Wohlwollen erhalten musste, weil sie sich davon irgendwelche Vorteile versprach.
Und die offenbar nicht im Geringsten an seiner Person interessiert war und allein schon deshalb sein eigenes Interesse, mehr noch aber seinen
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