Toedliche Luegen
erinnern. Und nun gehen Sie, ich bin beschäftigt.“
Die Frau schien nicht das geringste Interesse daran zu haben, einen Preis für herausragende Gastfreundschaft zu gewinnen. Allerdings sah Beate ebenfalls keinen Grund, sich zurückzuhalten. Blitzschnell schob sie ihren Fuß hinter die Türschwelle und erntete einen bitterbösen Blick für diese Dreistigkeit. Sie zuckte entschuldigend mit der Schulter.
„ Madame , Sie dürfen mich nicht wegschicken, bevor ich nicht mit René Lubeniqi geredet habe. Es ist wirklich sehr wichtig für mich. Ich verspreche Ihnen, es wird nicht lange dauern. Ein, zwei Fragen, mehr nicht und dann bin ich wieder – ruck zuck – verschwunden. Im Verlag sagte man mir, man hätte diesen Mann nie zu Gesicht bekommen und dass dieser Artikel der letzte war, der von ihm in der Petite Gazette erschien.“
Mit unbewegter Miene erklärte die mürrische Alte: „Es war der letzte Beitrag überhaupt, den Lubeniqi geschrieben hat.“
Sie schien zu überlegen, angestrengt, voller Misstrauen und Zweifel, dann trat sie zögernd von der Tür zurück und Beate hörte, wie die Kette aus der Sicherung geschoben wurde.
„Kommen Sie rein.“
Nett. In der Tat eine überaus nette Einladung, seufzte Beate und setzte unschlüssig ihren Fuß über die Schwelle. Hätte ich kaum besser hinbekommen.
„ Sie haben wohl Angst, sich in meiner Hütte schmutzig zu machen?“
Beinahe verächtlich musterte die Frau den feinen Hosenanzug, den Beate unter einem dicken Wollmantel trug und in dem sie sich bis zu diesem Augenblick sauwohl gefühlt hatte. Vermutlich hätten es Jeans und Turnschuhe ebenso getan. Aber immerhin war das hier Paris! Und sie war – sozusagen – in offizieller Mission unterwegs. Geschäftlich.
„Ist natürlich nicht das Ritz . Und genauso wenig habe ich Besuch erwartet. Ich hatte bereits seit ein paar Jahren keinen Besuch mehr.“
Verblüfft stellte Beate fest, dass die Wohnung zwar klein war, nichtsdestotrotz eine anheimelnde Gemütlichkeit ausstrahlte, in der sie sich sofort wie zu Hause fühlte.
„Nun nehmen Sie endlich Platz . Ich bin gleich wieder da, nur einen Moment. Bitte.“
Beate blickte sich in dem spartanisch eingerichteten Zimmer um. Zwei der Wände waren mit Bücherregalen bis unter die Decke zugestellt. Im Gegensatz zu den teuren Exemplaren im Büro ihres Vaters war diesen hier anzusehen, dass sie viele Male in die Hand genommen worden waren. Unter dem Fenster stand ein wahres Monstrum von einem Schreibtisch, auf dem sich Unmengen von Papier und noch mehr Bücher türmten. Nirgends war ein Hinweis darauf zu finden, wer außerdem hier lebte. Keine Fotos der lieben Familie auf altmodischen Kommoden mit gehäkelten Spitzendeckchen, keine niedlichen Kinderzeichnungen, die die Tapete an den Wänden überflüssig machten, keine Nippes, wie er für ältere Frauen, die alleine lebten, sonst typisch war, absolut nichts von dem überflüssigen Schnickschnack, auf dem sich mit Vorliebe der Staub niederließ. Beate hatte ein Auge dafür. Sie hasste Staubwischen.
Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen, als Madame Lubeniqi in das Zimmer zurückkam. Sie hatte sich das Haar geordnet und die Schürze abgelegt und sah durch diese kleinen Änderungen gleich um Jahre jünger aus.
„Werden Sie mir jetzt sagen, was Sie von Renée wollen? Woher rührt Ihr Interesse an diesem längst vergessenen Artikel? Er ist bereits etliche Jahre alt, wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte.“
„Ich bin rein zufällig darauf gestoßen. Ursprünglich habe ich nämlich in der Bibliothek nach Material über die Pariser Wirtschaft gesucht. Puh, einschläfernd, kann ich Ihnen versichern. Dann stach mir dieser Name ins Auge: Doktor Sebastian Ferrard. Ein absolut unsympathischer Mensch, wenn ich das mal höflich und zurückhaltend ausdrücken darf. Ich bin ihm glücklicherweise bloß ein einziges Mal begegnet. Ferrard hat meinen Onkel in seiner Klinik behandelt, als es bei ihm infolge einer Sepsis zum akuten Nierenversagen kam. Innerhalb von einer Woche hat er ihm zu einer Spenderniere verholfen.“
„Nun, das ist schön für Ihren Onkel. Bekanntlich verfügt in Deutschland lediglich ein verschwindend geringer Prozentsatz der Bevölkerung über einen Organ-Spenderpass. Das sieht bei uns etwas anders aus. Vielleicht hatte Ihr Onkel ganz einfach unverschämt viel Glück.“
„ In Verbindung mit Doktor Ferrard glauben Sie jedoch nicht an Glück“, stellte Beate nüchtern fest.
„Was ich glaube oder
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