Toedliche Luegen
in dieser Stadt, wahrscheinlich hunderte Ferrards. Warum sollte es ausgerechnet dieser Sebastian Ferrard gewesen sein, der Alain eine Niere transplantiert hatte, die auf … Woher-soll-ich-wissen-auf-welchem-Weg oder durch welch dunkle Kanäle das Spenderorgan in seine Klinik gekommen war?
Sie konnte ein herzhaftes Gäh nen nicht länger unterdrücken. Seit dem frühen Morgen saß sie hier und hatte die Bibliothek lediglich für ein schnelles Mittagessen in einem Stehimbiss verlassen. Sie rieb sich über ihre brennenden Augen.
„Schluss für heute“, gab sie sich das Zeichen zum Aufbruch. Aber ihr Blick blieb wie festgenagelt an dem Namen des Arztes kleben.
„… unklare Herkunft der Organe.“
Mit einem Schlag erwachte d ie Erinnerung an jenen Tag, als Doktor Ferrard mit ihr über mitunter endlose Wartezeiten auf das passende Transplantat gesprochen hatte, über jahrelange Dialysebehandlungen, die oftmals mit dem vorzeitigen Tod des Patienten endeten, weil kein Spenderorgan gefunden werden konnte. Dennoch transplantierte er Alain eine Woche später eine Niere. Hatte Ferrard in irgendeiner Weise nachgeholfen? Oder war Alain einfach nur der Glückspilz, als den ihn Pierre bezeichnet hatte?
Beate stockte der Atem. Wie ein Blitz schossen ihr Pierres Worte durch den Kopf, die sie zufällig mitgehört hatte. „Fünfzigtausend waren ausgemacht“, hatte er getobt und zwar in einem Ton, der nicht auf eines seiner üblichen Geschäfte hatte schließen lassen.
Mit wem hatte Pierre dama ls geredet? Mit Ferrard? Hatte ihr Vater Doktor Ferrard dafür bezahlt, dass er Alain vorrangig mit einer Spenderniere versorgte? Das wäre zugegeben nicht gerade die feine Art, allerdings gab es nach der Transplantation einen Schwerkranken weniger. Und einzig und allein das zählte letzten Endes. Oder etwa nicht? Dass der Empfänger des Transplantats Germeaux hieß … Na ja, Glück für ihn.
Und wenn er ihm a uf illegalem Weg eine Niere beschafft hatte? Was war illegal, wenn es um das Leben eines Menschen ging?
Beate war blass geworden. Die Ungeheuerlichkeit der eigenen Gedanken machte ihr Angst. Sie musste Germeaux fragen, ob er …
A us alter Gewohnheit tippte sie sich an die Stirn. Wie konnte sie annehmen, er würde ihr bereitwillig erzählen, mit wem er damals telefoniert hatte? War es tatsächlich ein anrüchiger Deal zwischen Ferrard und Pierre gewesen, dann hatte ihr Vater keinen Grund, ausgerechnet ihr das auf die Nase zu binden.
Vielleicht sollte sie zunächst versuchen, den Verfasser des Artikels zu finden. Dieser René Lubeniqi würde ihr Auskunft darüber geben können, was aus den Anschuldigungen gegen Ferrard wurde. Mittlerweile konnte sich dieser Artikel längst überholt haben. Doktor Ferrard praktizierte weiter, also hatte man die Verdächtigungen gegen ihn offenbar zurückgenommen.
W eil er unschuldig war, weshalb sonst?
Klopfenden Herzens erreichte sie das einzeln stehende Häuschen in der Rue Gwan-Valla . Beate konnte sich kaum vorstellen, dass es bewohnt war. Die verwitterte Tür und die im Wind quietschenden Fensterläden riefen wahrscheinlich schon lange nach einem neuen Anstrich, dachte sie, während sie zaghaft auf den Klingelknopf drückte.
Weil niemand darauf reagierte und auch sonst kein Geräusch aus der Wohnung zu vernehmen war, klopfte sie etwas energischer an die Tür. Leise rieselten Farbkrümel auf ihre Schuhe. Nichts regte sich, dabei hätte Beate geschworen, dass jemand im Haus war. Hinter der sich leicht bewegenden Gardine hatte sie einen Schatten bemerkt. Und an Gespenster glaubte sie nicht.
Endlich hörte sie schlurfende Schritte näher kommen. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, gerade weit genug, dass Beate eine ungepfleg te Frau mit altmodischer Kittelschürze um den unförmigen Körper erkennen konnte und sich die Frau die Nase nicht einklemmte.
„Ja?“
„ Bonjour, madame . Mein Name ist Beate Schenke. Ich möchte René Lubeniqi sprechen.“
„Was wollen Sie von Lubeniqi?“, schnarrte die Alte heiser.
„Ich habe“, Beate kramte einen gefalteten Zettel aus ihrer Handtasche und hielt der Frau die Kopie des Zeitungsartikels unter die Nase, „diesen Artikel von ihm gelesen. In der Petite Gazette .“
Als die Frau hinter der mit einer Kette gesicherten Tür nichts erwiderte, ergänzte Beate mit eindringlicher Stimme: „Den Artikel über Doktor Sebastian Michel Ferrard.“
„Ich weiß, ich weiß! Ja und? Das ist lange her. Lubeniqi wird sich nicht mehr daran
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