Toedliche Luegen
wovon ich überzeugt bin, interessiert schon lange nicht mehr.“
„Ich weiß, meine Meinung zählt nicht allzu viel, aber ich wäre nicht hier, wenn es mich nicht interessieren würde.“
D ie Frau musterte Beate eine ganze Weile schweigend, schien abzuwägen, ob ihr Interesse tatsächlich nur auf die Transplantation ihres Onkels zurückzuführen war oder etwas völlig anderes hinter ihrem Auftauchen steckte.
„ Wollen Sie mir verraten, wie haben Sie hierher gefunden? Ich bin davon ausgegangen, niemand im Verlag wüsste meine Adresse.“
„Anfangs hatte es auch ganz diesen Anschein. Ich befürchtete schon , unverrichteter Dinge abziehen zu müssen, doch dann hat mich dieser sympathische Herr auf dem Flur der Redaktion zur Seite genommen. Können Sie sich an Jean Chasseur erinnern? Er hat Sie über alles bewundert, Sie waren sein leuchtendes Vorbild, sein Idol. Und für ihn brach eine Welt zusammen, als Sie nach dem Artikel über Doktor Ferrard urplötzlich mit Schreiben aufhörten. Er erzählte mir, wie wenig es ihm in den Kopf wollte, dass eine brillante Journalistin wie Sie die Recherchen nicht zu Ende führen und einen halb fertigen Artikel im Verlag abgeben konnte. Scheint in Ihren Kreisen offenbar ein Kapitalverbrechen zu sein. Allerdings hat er mir nicht verraten, dass sich hinter René Lubeniqi eine Renée verbirgt.“
„Woher hätte er das auch wissen sollen?“
„Er wusste es, genau wie er Ihre Adresse kannte. Und er bittet Sie, ihm seine Neugier zu verzeihen. Die Art und Weise, wie er Sie aufgespürt hat, war wohl in der Tat eher … mmmh, unkonventionell. Möglicherweise möchten Sie mit ihm persönlich darüber reden. Außerdem würde er Ihnen gern einige andere interessante Dinge erklären.“
Auf Renée Lubeniqis Gesicht hatte sich ein weiches Lächeln gelegt. Oh ja, sie erinnerte sich an Jean Chasseur. Wenn sie unter falschem Namen „zufällig“ in der Redaktion zu tun hatte, war ihr der aufmerksame Blick des jüngeren Journalisten nicht entgangen.
Beate entdeckte den veränderten Zug um Renées Mund und sie fragte sich schmunzelnd, wie alt die Journalistin nun wirklich war. Sie kramte in ihrer Handtasche und zog einen kleinen Zettel hervor. „Das soll ich Ihnen geben. Seine Telefonnummer. Er ist sehr nett.“
Renée nickte zustimmend. „Jean hat Recht, ich habe den Artikel nicht zu Ende geschrieben. Ich hatte den Mut verloren, nachdem ich die unüberschaubaren Dimensionen und die Tragweite meiner Enthüllungen erkannte und mehr und mehr Steine in meinen Weg gelegt wurden, über die ich stolperte, bis mich irgendwann die Kraft verließ, um aufzustehen und weiterzugehen.“
„ Demnach wissen Sie mehr, als in der Zeitung zu lesen war. Ohne überheblich wirken zu wollen, habe ich so etwas vermutet. Oder gehofft, ganz wie man’s nimmt. Was zum Beispiel haben die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft bei den Krankenkassen ergeben? Sie wussten alle von Ihren Vorwürfen gegen die Kassen und in der Hauptsache gegen Doktor Ferrard. Wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten zu beanstanden gab, wieso wurde Ferrard dann freigesprochen? Mehr noch, er praktiziert und transplantiert munter weiter.“
„Und verdient sich damit nicht nur eine goldene Nase. Er hat sich heute bereits mehrere Alterssitze rund um den Erdball gesichert. Bemerkenswerterweise ausgerechnet in solchen Ländern, mit denen kein Auslieferungsabkommen besteht.“
„ Aber das ist doch kein Zufall!“
„Ganz bestimmt nicht. Dennoch kann ich lediglich Vermutungen anstellen. Ahnungen und Verdächtigungen zählen nicht und meine Beweise reichen kaum aus, um ihn des Betrugs zu überführen.“
Erneut ließ Renée Lubeniqi einen prüfenden Blick über ihren Gast gleiten. Die alte Angst, die sie monatelang verfolgt und kreuz und quer durch Europa und Afrika gejagt hatte, war wieder gegenwärtig. War es nicht denkbar, dass man nach wie vor hinter ihr her war und sie nun endgültig aus dem Verkehr ziehen wollte? Doch warum erst jetzt? Genügte es ihren Jägern inzwischen – aus welchem Grund immer – nicht mehr, sie eingeschüchtert und mundtot gemacht zu haben? Hätte man sie auch physisch ausschalten wollen, wäre das längst geschehen. Keine Zeitung würde jemals wieder einen Artikel von ihr drucken. Und zu ihrer Schande verhielt sie sich in der Tat seit Jahren mucksmäuschenstill, ganz so wie man es ihr eingeschärft hatte.
„Kurz vor dem Beginn des Prozesses gegen Ferrard verursachte ein hochrangiger Justizbeamter einen
Weitere Kostenlose Bücher