Tödliche Mitgift
es zu einer Verhandlung kommt.«
»Für den Mord an Annegret Dreyling wurde aber definitiv keine Tanto-Klingenform verwendet«, entgegnete Pia.
»Was werden Sie im Fall Dreyling als Nächstes tun?«
»Wir werden John Dreyling vernehmen.«
»Viel Glück dabei.«
Pia ahnte noch nicht, dass John Dreyling gerade in diesem Moment ein Flugzeug bestiegen hatte, das ihn in wichtigen Geschäftsangelegenheiten nach São Paulo bringen sollte.
29. Kapitel
I n der Kapelle am Burgtor-Friedhof befanden sich nur wenige Trauergäste. Als Pia eintrat, zählte sie mit einem schnellen Blick über die Bankreihen gerade mal vierzehn Anwesende, die allein oder in Grüppchen auf den harten Bänken hockten. Sie sah keine Särge, es würde eine reine Urnenbeisetzung werden. Die Leichen waren bereits in Italien eingeäschert und dann in der Urne verschickt worden. Das war unproblematischer, vor allem im Hochsommer, dachte Pia und wischte sich verstohlen den Schweiß von der Stirn. Sie hatte einen dunklen Blazer über ihr T-Shirt gezogen, weil sie erstens nicht mit nackten Armen in der Kapelle auftauchen wollte und zweitens ihr Schulterhalfter mit der Waffe verdecken musste. Seit dem Verhör mit Kroll und der Erkenntnis, es mit einem Messerfetischisten zu tun zu haben, nahm sie das Tragen ihrer Dienstwaffe mal wieder etwas genauer.
Sie setzte sich in eine der hinteren Bankreihen und versuchte, aus den Rückansichten auf die Identität der Trauernden zu schließen. Die ersten beiden Bankreihen waren leer, so als fühlte sich niemand den Verstorbenen verbunden genug, um diesen Platz für sich zu beanspruchen. Vorne links in der dritten Reihe erkannte Pia Ole Dreyling, dessen helles Haar im licht der hohen Buntglasfenster leuchtete, als hätte er nach dem Waschen mit Lebensmittelfarben experimentiert. Neben ihm saß seine Mutter; John Dreyling war, wie Pia zu ihrem Ärger erfahren hatte, in Südamerika. Im Kommissariat hegte man allerdings die Hoffnung, dass er, wie er versichert hatte, in zwei Tagen wieder da sein würde, um das »unangenehme Missverständnis« zweifelsfrei aufzuklären. Neben den Dreylings hatte ein älteres Paar Platz genommen, vielleicht Ole Dreylings Großeltern. Die beiden schienen mit ihnen zusammen gekommen zu sein. Rechts, einige Reihen weiter hinten, entdeckte Pia Bianca Nowak. Die Frau hielt ihren Kopf tief gesenkt, ihre Schultern waren nach vorn gefallen, sodass man ihre Schulterblätter unter dem halb transparenten, schwarzen Blusenstoff hervorstechen sah. Ihr Anblick rührte Pia. Ihr fiel auf, dass sie in diesem Fall mehr und mehr die emotionale Distanz vermissen ließ, die sie eigentlich für die Ermittlungen brauchte. In der nächsten Bank saßen ein paar Pia gänzlich unbekannte Frauen, die aufgeregt miteinander flüsterten. Vielleicht Freundinnen von Annegret? Einige Reihen vor ihr, ganz auf der linken Seite und in der fast größtmöglichen Entfernung zu ihrer Schwiegermutter Bianca, hatte Caterina Nowak Platz genommen. Sie sah elegant, aber auch unnahbar aus, mit einem taillierten Blazer bekleidet, das glänzende Haar aufgesteckt. Neben ihr saßen ihre Eltern, ebenfalls in Trauerkleidung. Rosa Fanelli beugte sich gerade zu ihrer Tochter hinüber, um ihr etwas ins Ohr zu sagen.
Die Trauermusik setzte ein, der Pastor erschien, alle Köpfe wandten sich nach vorn. Als der Organist zu spielen aufhörte, wurde es still in der Kapelle. Der Pastor schwieg ein paar Sekunden mit ernster Miene, begann dann zu reden, doch schon bei den ersten Sätzen wurde er durch einen verspäteten Trauergast gestört, der den Raum betrat. Pia sah sich um und erkannte Bernhard Löwgen, der sich gleich neben dem Ausgang in die letzte Bank drückte. Er trug ein zerknittertes buntes Hemd und Jeans. Die schwarze Haarfarbe, mit der er in Italien sein Äußeres verändert hatte, wuchs allmählich heraus und enthüllte einen rötlichen Haaransatz. Bernhard Löwgen war zwar nicht mehr ihr Hauptverdächtiger im Mordfall Dreyling, aber solange nicht bewiesen war, wer tatsächlich der Täter war, blieb ein Zweifel an seiner Unschuld bestehen. Unter Umständen sein Leben lang …
Nach der Trauerfeier war Bernhard Löwgen verschwunden, noch bevor alle anderen die Kapelle verlassen hatten. Pia sah sich im Vorraum um, doch auch hier war nichts mehr von Löwgen zu sehen. Die wenigen Anwesenden standen befangen herum; niemand wusste, wer wem kondolieren sollte, und so ließ man es lieber ganz. Die Anwesenheitsliste der Trauerfeier wird uns
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