Tödliche Mitgift
Ein rotwangiger Beamter in der Uniform der Polizia di Stato brachte drei Espressi auf einem Tablett herein. Er sagte etwas, schnell und mit hörbarer Anspannung in der Stimme, und Pia verstand kein Wort. Ohne Vittoria Sponza war sie hilflos, erkannte sie unbehaglich. Sie sprach kein Italienisch, die meisten anderen Kollegen hier kein Deutsch. Eine Verständigung auf Englisch wäre vielleicht noch möglich, aber Carlini machte nicht den Eindruck, als wollte er momentan auf Englisch mit ihr plaudern.
Stefano Carlini antwortete in knappen Worten und zog sich demonstrativ einen Aktenordner heran. Er blätterte ungeduldig darin herum. Pia holte ihre Akten hervor. Sie hatte ihren gesamten bisherigen Vorgang in Papierform mitgebracht und sah förmlich, wie Carlini darauf brannte, an neue Informationen über den Mordfall zu kommen, gleichzeitig aber einen gehörigen Widerwillen gegen diesen Aktenordner voll mit fremdsprachlichen Dokumenten hegte.
Wann kam Vittoria Sponza endlich? Inzwischen waren Pias Kopfschmerzen und die Übelkeit auf ein erträgliches Maß abgeklungen. Ein Espresso war genau das, was ihr jetzt weiterhelfen würde, dachte sie. Und später ausgestreckt auf dem Bett in dem kühlen Hotelzimmer liegen und nichts tun. Morgen würde sie dann wieder fit sein.
In diesem Moment betrat die Sponza, angekündigt durch das Stakkato ihrer hochhackigen Schuhe, den Raum. Ihre Pumps waren schlicht und schwarz und stellten sicherlich so etwas wie ihre »Arbeitsschuhe« dar, die sie nur zehn Zentimeter größer machten. Carlini erwies der Commissaria aber nicht die Höflichkeit, bei ihrem Eintritt von seiner Akte aufzublicken.
»Cisono delle novità! Es gibt Neuigkeiten!«, rief sie und warf einen braunen Umschlag auf den Besprechungstisch. »Eine neue Aussage vom Hotelpersonal des Guarini. Ein Zimmermädchen, das bis heute frei hatte und bei unseren ersten Befragungen nicht berücksichtigt wurde, hat sich jetzt gemeldet. Die Hotelangestellte erinnert sich angeblich daran, am Mordabend einen unbekannten Mann im dritten Stockwerk des Hotels gesehen zu haben.«
Carlini runzelte die Stirn und griff nach dem Umschlag. Er öffnete ihn und zog mehrere Blätter Papier heraus.
»Wir haben schon ein Phantombild des Mannes«, erklärte Vittoria Sponza zufrieden. »Sie haben es sofort anfertigen können, nachdem das Zimmermädchen ausgesagt hatte.«
Der Commissario Capo schob den Ausdruck des Phantombilds wortlos zu Pia hinüber. Es war eine computergestützte Handzeichnung von hoher Qualität. Pia wusste aus eigener Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit Phantombild-Erstellern, dass diese Art Handzeichnung im Vergleich mit rein am Computer erstellten, fotografieähnlichen Phantombildern nach wie vor Bestand hatte und oft erstaunliche Resultate erzielte. Vielfach war es für die Zeugen einfacher, ihren subjektiven Eindruck zu schildern, den der Zeichner dann möglichst objektiv umsetzte, anstatt sich am PC beispielsweise durch sechshundert Augenpaare zu klicken, um eines davon auszuwählen.
Sie musterte das Porträt und war sich sicher, den abgebildeten Mann nicht zu kennen. Gleichzeitig war sie überzeugt davon, dass die Zeichnung so gut war, dass Leute, die ihn schon mal gesehen hatten, ihn anhand dieses Bildes wiedererkennen würden. Es war davon auszugehen, dass das Zimmermädchen den Mann im Hotel nur einen Moment gesehen hatte. Und ein kurzer, intensiver Eindruck war oft besser umzusetzen als ein Bild nach einer längeren Bekanntschaft. Bei dem Gedanken daran, dass das schmale Gesicht mit den eng zusammenstehenden Augen und den vollen Lippen vielleicht den Täter darstellte, kribbelte es zwischen Pias Schulterblättern. Der Mann schien etwa Anfang dreißig zu sein und trug sein dunkles Haar modisch ins Gesicht gekämmt. Sicher, eine Frisur ließ sich schnell ändern, aber das Phantombild wurde von Angaben zu der Körpergröße von circa einem Meter siebzig und der Statur, die als dünn und durchtrainiert beschrieben wurde, ergänzt.
»Hat die Zeugin den Mann angesprochen? Weiß sie, welche Sprache er spricht?«, fragte Pia. Intuitiv ging sie von einem Deutschen als Täter aus, einfach weil der Tathergang auf eine länger bestehende Täter-Opfer-Beziehung hinwies. Das Bild gab aber keinerlei Aufschluss über die Nationalität des Mannes.
»Nein. Sie hat abends gegen einundzwanzig Uhr vierzig eine Flasche Champagner und etwas zu essen in eine der Suiten oben gebracht. Der Mann kam ihr im Flur entgegen und hat sich unsanft
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