Tödliche Mitgift
am Servierwagen vorbeigeschoben. Wir werden das Bild allen Angestellten im Hotel vorlegen, doch ich vermute, dass dieser Mann nicht Gast im Guarini war.«
Pia las sich die Beschreibung der Kleidungsstücke durch: eine helle Jeans und ein dunkler Rollkragenpullover, wahrscheinlich Sportschuhe. Sie stutzte. »Hatte der Mann etwas bei sich, eine Tasche oder so?«
»Das Zimmermädchen ist an diesem Punkt unsicher, weil sie ihn nur von vorn gesehen hat. Er könnte einen kleinen Rucksack bei sich gehabt haben, aber sie weiß nicht, ob sie tatsächlich einen Schulterriemen gesehen hat oder nicht.«
»War er auf dem Weg zu Annegret Dreylings Zimmer oder auf dem Weg hinaus?«
»Er war auf dem Weg hinaus. Er soll aber nicht sonderlich hektisch gewirkt haben, eher verärgert …«
Carlini machte einen Einwurf. Er fixierte Pia, während er wie ein Wasserfall auf seine italienische Mitarbeiterin einredete. Die Commissaria antwortete ihm knapp, wandte sich dann wieder Pia zu.
»Unser Problem ist, dass der Mord erst relativ spät entdeckt wurde. Am nächsten Vormittag um Viertel nach zehn ist ein anderes Zimmermädchen in das verschlossene Zimmer gegangen, nachdem nach wiederholtem Klopfen niemand reagiert hatte. Sie fand das Opfer auf dem Bett liegend vor. Die Fenster waren geschlossen, die Klimaanlage ausgeschaltet. Es war ziemlich warm im Zimmer, sodass man kurze Zeit später ohnehin durch den Geruch auf die Tote aufmerksam geworden wäre. Der Rechtsmediziner hat in seinem Bericht nur eine ungefähre Schätzung abgegeben, um wie viel Uhr das Opfer gestorben ist. Unser Zeitfenster liegt zwischen acht Uhr abends und Mitternacht. In dem Zeitraum sind sehr viele Leute im Hotel ein und aus gegangen. Zu allem Unglück war auch das Dachterrassen-Restaurant an diesem Abend gut besucht, und die Fahrstühle fuhren dementsprechend ständig rauf und runter. Die Hotelzimmer sind sehr gut schallgedämmt, mit doppelten Türen und allem … Niemand hat überhaupt die Chance gehabt, etwas zu hören.«
Wahrlich luxuriös, dachte Pia in Erinnerung an die pappdünnen Wände und Decken und die sich daraus ergebenden Geräuschbelästigungen in ihrem Haus. »Gibt es Bereiche im Hotel, die von Kameras überwacht werden?«
»Nur der Eingangsbereich mit der Rezeption, die Situation draußen vor dem Eingang und die Halle mit den Fahrstühlen«, antwortete Vittoria Sponza, »die Gäste schätzen ihre Privatsphäre …«
»Verständlicherweise. Sind die Filme schon ausgewertet worden? Unser Phantom-Mann müsste doch auch darauf zu sehen sein.«
»Wie gesagt, es sind sehr viele Leute ein und aus gegangen an diesem Abend, aber unser Mann war wohl nicht dabei. Das ist allerdings erst ein vorläufiges Ergebnis. Wir haben das Bild ja noch nicht lange.«
»Verstehe. Ich würde mir den Tatort gern heute noch ansehen«, erklärte Pia.
Die Commissaria nickte zustimmend. »Ich werde Sie während unserer Pause zum Guarini bringen.«
Dadurch rückte zwar Pias Wunschtraum, demnächst bewegungslos auf dem Bett im kühlen Hotelzimmer zu liegen, um zu regenerieren, in weite Ferne, aber die Besichtigung des Tatorts war ihr wichtiger. Pia setzte die Commissaria und ihren Vorgesetzten über ihre bisherigen Erkenntnisse zu den Familienverhältnissen der Nowaks, Dreylings und Fanellis ins Bild. Dann schilderte sie, was Matthias Nowaks Kriminalakte enthielt und was die Vermieterin über Bernhard Löwgen berichtet hatte. Im Gegenzug erhielt sie noch genauere Kenntnis über den bisherigen Stand der Ermüdungen. Neben den Befragungen des Hotelpersonals wurde auch im nachbarschaftlichen Umfeld von Matthias und Caterina Nowaks angemieteter Wohnung ermittelt. Jetzt würde man Nowaks Angaben bezüglich des Rom-Aufenthalts überprüfen und auch bei seinen Geschäftspartnern Erkundigungen über ihn einziehen. Des Weiteren lief die Suche nach Bernhard Löwgen auf Hochtouren. Bahnhöfe, Busgesellschaften, Mietwagen-Agenturen, Häfen und Flughäfen waren vom ersten Tag an informiert gewesen. Nun dehnte man die Suche auf mögliche Unterkünfte Löwgens und denkbare Anlaufstellen aus. Irgendwo musste der Mann schließlich stecken, und er konnte sich auch nicht ewig vor der Polizei verborgen halten.
Wenn er denn noch am Leben war..., dachte Pia.
Die Italiener ermittelten jetzt seit fünf Tagen. Sie waren an jenem Punkt angelangt, wo ein schneller Durchbruch höchst unwahrscheinlich ist. Sie hatten einen brutalen Mord an einer deutschen Touristin in einem renommierten
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