Tödliche Mitgift
führen, dass Nowak der Ansicht gewesen war, dass die Regeln und Gesetzte seiner Mitmenschen für ihn keine Geltung hatten. Vielleicht war er trotz seines perfekten Alibis schuld an dem Mord an seiner Schwester Annegret? Seine Trauer und Wut ihretwegen waren Pia allerdings echt erschienen.
»Er ist erschossen worden. Drei Mal direkt in die Brust. Es sieht aus wie eine Hinrichtung«, sagte sie zu Vittoria Sponza, nachdem Capitano Petrucci sie von der Leiche fort und zurück zu den anderen gebracht hatte. Obwohl sie ihm bei der Identifizierung geholfen hatte, machte er sich nicht die Mühe, seinen Unwillen über ihre Anwesenheit zu verbergen. Pia vermutete, dass gerade sein offen zur Schau getragenes Missfallen der Grund dafür gewesen war, warum Carlini sie mit hergenommen hatte. Es war wohl so etwas wie seine Rache dafür, dass man ihm in seine Mordermittlung gepfuscht hatte.
Pia musterte Marco Petrucci nachdenklich. Seine Augen glitten unstet von einem zum anderen, und seine Haltung wirkte so angespannt, als würde er jeden Moment aus der Haut fahren. Allmählich sollte der Mann doch ein wenig zur Ruhe kommen. Die Operation war gut verlaufen, er hatte vier Leute verhaftet und die gesamte Ware sichergestellt. Und sie selbst würde morgen abreisen und stellte ohnehin keine Gefahr für ihn dar. Trotzdem schien er sie zu belauern. Hinter Petruccis Rücken wurden gerade die Verhafteten in Handschellen zu einem Polizeifahrzeug geleitet. Der Fahrer des Lkw war einer von ihnen, dann kam Georg Regner, und der Nächste war dessen Mitarbeiter Techow. Pia erkannte ihn anhand der Fotos wieder, die der Capitano ihr gezeigt hatte.
»Un momento, per favore!«, sagte sie und ging zu dem Polizeifahrzeug hinüber. Sie spürte, wie sich ihr Magen verknotete, als sie sich der Menschengruppe näherte, aber sie wollte Klarheit. Wenn dieser Martin Techow der war, für den sie ihn hielt, hatte er sich ziemlich verändert in den letzten zwei Jahren. War es wirklich schon so lange her? Und was sollte Marten Unruh hier verloren haben? Als Techow sie näher kommen sah, blieb er abrupt stehen. Pia registrierte für den Bruchteil einer Sekunde Erschrecken in dem ihr einerseits fremden, aber auch vertrauten Gesicht, dann war der Moment vorbei. Die beiden Beamten an seiner Seite stießen ihn ungeduldig vorwärts.
»Alt! Non può andare avanti!«, wies ein weiterer, uniformierter Carabiniere Pia zurecht.
»Per favore. E importante!«, suchte sie mühsam ein paar Brocken Italienisch zusammen. Sie hatte keine Ahnung, was vor sich ging, war aber fest entschlossen, es hier und jetzt herauszufinden. Der Polizist schüttelte unnachgiebig den Kopf und stellte sich ihr in den Weg. Der erste Verhaftete stieg mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck in den Polizeibus. Georg Regner folgte ihm; den Beamten, der ihn abführte, strafte er mit eisiger Verachtung. Nun wurde Techow gedrängt, in das Fahrzeug zu steigen, doch er zögerte und sagte etwas zu dem Polizisten neben sich, das Pia nicht verstand. Der Carabiniere, der ihr den Weg abgeschnitten hatte, war einen Moment abgelenkt, was Pia dazu nutzte, noch ein paar Schritte näher zu treten. Jedes Wort, jeder Satz, den sie in diesem Moment an den Mann hätte richten können, der Marten Unruh so verblüffend ähnlich sah, gefror Pia in der Kehle, so unmissverständlich war die Warnung, die seine Mimik ausdrückte. Da stand sie nun auf dem Parkplatz eines Lagerhauses in Umbrien, um sie herum fast mehr Carabinieri als im Dezember Menschen auf dem Lübecker Weihnachtsmarkt … und jagte einem Phantom nach. Pia wurde klar, dass es seltsam aussehen musste, wenn sie hier noch länger regungslos verharrte und den Verhafteten anstarrte.
»Sie kommen aus Deutschland?«, fragte der Mann namens Techow sie mit distanziert klingender Stimme.
»Ja, aus Lübeck. Brauchen Sie einen Anwalt?«, hörte Pia sich ebenso kühl antworten.
»Nein, ich komme klar. Wann fliegen Sie zurück?«
»Wahrscheinlich morgen«, sagte sie.
Er wandte sich ab, bevor die Carabinieri von sich aus den Wortwechsel beendeten, und stieg in den Bus, ohne sich noch einmal umzusehen.
Am nächsten Morgen checkte Pia frühzeitig aus dem Hotel Iris aus und nahm ihren Koffer mit in die Questura. Ihr Flug zurück sollte erst am späten Nachmittag gehen. Das Geld für ihre letzte Nacht im Hotel hätte man sich im Grunde sparen können, dachte sie, als sie die Rechnung überflog und einsteckte. Sie war erst gegen drei Uhr nachts ins Hotel
Weitere Kostenlose Bücher