Tödliche Mitgift
so plötzlich her? Wenn man sie hier oben entdeckte, war es aus.
Sie erreichten das Ende der weitläufigen Dachfläche. Das Schießen hatte mit einem Mal aufgehört, dafür hörte man nun Stimmen. Nowak sah hinunter: Von hier ging es bestimmt drei oder vier Meter senkrecht in die Tiefe. Er hörte metallisches Kratzen und sah, wie Rizzo eine Metallleiter hinter einem der Oberlichter der Keramikhandlung hervorzog. Er hatte sie offenbar vorsorglich dort deponiert, falls ein Abstieg nötig werden sollte.
Der Schweinehund hatte an alles gedacht!, zollte Nowak ihm widerwillig Respekt. Die Männer ließen die Leiter hinab. Caterina kletterte zuerst, dann Rizzo, zuletzt Nowak.
»Wo sind wir hier«, fragte Caterina flüsternd, als sie alle drei unten angekommen waren.
»Das ist das Gelände einer Lackiererei«, antwortete Rizzo. Fensterlose Wände und ein hoher Drahtzaun grenzten das Areal ein, der Weg zur Straße war von einem Gittertor mit Kettenschloss versperrt. Rizzo dirigierte sie nach rechts zu einem gekiesten Parkplatz, hinter dem nach etwa fünfzig Metern ein Bahndamm verlief. Weit und breit waren weder Menschen noch Fahrzeuge zu sehen.
»Hier gibt es Bewegungsmelder für die Scheinwerfer«, sagte Gisberto Rizzo. »Ihr müsst direkt hinter mir laufen, wenn ihr nicht plötzlich wie auf dem Präsentierteller stehen wollt.« Er führte sie am Rande des Parkplatzes und dann am Fuße der Böschung entlang, durch kleine Büsche und trockenes Gras. Nowaks Augen hatten sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt. Als er sich fragte, wie lange sie denn noch am Damm entlanglaufen wollten, sah er die gähnende Öffnung einer Fußgängerunterführung. Er fühlte ein starkes Widerstreben, die Unterführung zu betreten, doch das war der von Rizzo geplante Fluchtweg. Beim Näherkommen erblickte Matthias Nowak am anderen Ende des Tunnels ein ebenes Feld, und dahinter glänzte die Oberfläche des Trasimenischen Sees. Der Anblick stimmte ihn wieder zuversichtlicher. Womöglich gab es hinter der Unterführung einen Trampelpfad, der in Richtung See führte, vielleicht zu einem Boot, das für ihre Flucht bereitlag. Als sie aus dem kurzen Tunnel traten, blieb Gisberto Rizzo unvermittelt stehen.
»Und nun?«, fragte Caterina.
»Wir sind weit genug weg«, sagte ihr Onkel und schaute Matthias Nowak an. »Damit ist dein Weg hier zu Ende.« In Rizzos rechter Hand sah Matthias eine mattschwarze Pistole mit einem Schalldämpfer. Der Lauf der Pistole zielte auf seine Brust.
»Was soll das?«, fragte er, obwohl er mit einem Mal den Plan glasklar vor sich liegen sah. Es war nur logisch. Er spürte, wie seine Knie nachgaben.
»Caterina und ich gehen allein weiter. Lass die Tasche fallen.«
Matthias schüttelte den Kopf und presste mit einer kindlichen Geste die Tasche schützend vor seine Brust. Tastend bewegte er seine Füße rückwärts, in Richtung der Unterführung. Sein Blick suchte kurz den seiner Frau. Sie stand neben ihrem Patenonkel und betrachtete ihn, Matthias, mit einem Gesichtsausdruck, mit dem sie auch ein abgelaufenes Joghurt anschauen würde, das sie aus dem Kühlschrank genommen hatte. Kein Erschrecken in ihren Augen, auch kein Triumph. Fast ungeduldig sah sie ihn an.
»Willst du ihm sagen, warum, cara?«
Sie verneinte mit einer kaum merklichen Kopfbewegung. »Mach schon! Wir müssen uns beeilen«, forderte sie Rizzo ungeduldig auf.
Es ging schnell. Mental gefangen im Vorraum des Todes, war Matthias Nowak nicht mehr in der Lage, das Spannen des Hahns oder das Durchziehen des Abzugs zu registrieren. Der heftige Schlag gegen seine Brust traf ihn trotz allem überraschend, es folgten ein zweiter und auch noch ein dritter. Er taumelte rückwärts. Den alles zerreißenden Schmerz spürte er erst mit einer Verzögerung, dafür aber umso grausamer. Es war, als würde seine Brust von zwei gewaltigen Fäusten zerfetzt. Sein Blickfeld verengte sich. Kein Neustart – niemals mehr.
21. Kapitel
D as fehlte Capitano Petrucci gerade noch: Zu all den Leuten, die sich inzwischen um die Lagerhalle tummelten, rollten jetzt auch noch zwei Fahrzeuge der Polizia di Stato durch die Absperrung. Carlini stieg aus, gefolgt von Vittoria Sponza und der deutschen Kommissarin. Marco Petrucci war schon klar, dass er die in dem Mordfall Dreyling ermittelnden Beamten nicht vollkommen aus dieser Sache ausschließen konnte, aber es gefiel ihm nicht, dass Carlini auch noch diese Deutsche mitgebracht hatte.
Vier Festnahmen, drei Verletzte, einer davon
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