Tödliche Mitgift
motivieren, hatte, wie es schien, Nowaks Schwester Annegret herhalten müssen. Annegret Dreyling, frisch verheiratet, von ihrem Ehemann enttäuscht und in Lübeck den Verfolgungen eines Unbekannten ausgesetzt, wenn man Löwgen denn glauben durfte …
Deutschland – Lübeck. Es würde ihr nicht leichtfallen, sich wieder auf den Alltag zu Hause einzustellen, dachte Pia. Vittoria Sponza hatte sie nach einer hektischen Autofahrt am Flughafen in Florenz abgesetzt. Während ein Teil ihrer Aufmerksamkeit noch dem Gewühl in der Abfertigungshalle galt, war ein anderer Teil ihres Gehirns schon mit den anliegenden Problemen in Lübeck beschäftigt. Pia war unschlüssig, was ihre Beziehung zu Hinnerk anging. Während ihrer Abwesenheit hatten sie ein paar Mal kurz miteinander telefoniert. Entweder war Hinnerk gerade beschäftigt gewesen, wenn sie angerufen hatte, oder Pia hatte ihrerseits keine Zeit für ein ausführliches Telefongespräch gehabt. Außerdem entstanden bei Telefonaten sowieso oft mehr Missverständnisse, als dass welche geklärt wurden. Vordergründig schien alles normal zu sein, aber Pia spürte einen falschen Unterton, etwas vorsichtig Abwartendes in ihrer beider Haltung. Was ihre Stimmung zusätzlich trübte, war die Nachricht, dass Hinnerk sie nicht vom Flughafen würde abholen können, weil er eine Verabredung hatte. Ihre Maschine landete um kurz vor elf Uhr abends in Hamburg-Fuhlsbüttel. Was war das denn bitte für eine Verabredung? Und mit wem war er verabredet? Aber Pia hätte sich eher die Zunge abgeschnitten und zu Ragout verarbeitet, als ihn danach zu fragen. Im Grande kehrte sie mit mehr unbeantworteten Fragen nach Lübeck zurück, als sie mit hierher genommen hatte. Und auch in Lübeck hatte sich keines ihrer Probleme in Luft aufgelöst: Sie wusste nicht, ob ihr Freund noch ihr Freund war, Annegret Dreyling und ihr Bruder Matthias Nowak waren tot – ermordet. Und der oder die Mörder liefen frei herum, hielten das Gesicht in die Sonne, hier, in der Karibik oder anderswo …
An dem Schalter, an dem Pia einchecken musste, hatte sich eine längere Schlange gebildet. Die meisten der Wartenden sahen aus wie Touristen, die nach einem Urlaub in der Toskana oder in Umbrien nach Deutschland zurückkehrten. Vor ihr stand eine Familie mit drei Kindern: Das größte saß im Buggy, ein winzig aussehender Säugling befand sich in einer Art Tragetuch vor dem Bauch der Mutter und ein etwa zweijähriges Kleinkind auf dem Arm des Vaters.
Die Eltern stritten miteinander, aber niemand außer Pia und den Kindern nahm Notiz davon. Das Reden und Rufen der Leute um sie herum und die sich ständig wiederholenden Lautsprecher-Durchsagen vermischten sich zu einem auf und ab wogenden Meer von Stimmen und Tönen.
»Auf den Zufall kann man sich doch immer verlassen,« hörte sie eine Stimme unweit ihres rechten Ohrs. Pia fuhr herum. Schräg hinter ihr stand Marten Unruh, oder wie auch immer er gerade heißen mochte, den Kopf leicht zur Seite geneigt, das Gesicht unbewegt. In diesem Moment hatte sie keinerlei Zweifel mehr, dass er es wirklich war.
»Ich finde eher, man kann sich auf nichts im Leben verlassen …«, antwortete Pia. Sie wandte sich wieder in Richtung Schalter, folgte der Schlange einen Schritt nach vorn und zog mit einem Ruck ihren Koffer zu sich heran.
»Manches lässt sich eben erst im Nachhinein erklären. Ich dachte, du wärst vielleicht interessiert …«
»Nein«, sagte Pia eine Spur zu laut. Das Kleinkind mit den roten Locken, das sie über die Schulter seines Vaters hinweg anstarrte, verzog weinerlich das Gesicht.
»Ist das hier der letzte Flug nach Hamburg heute?«, wollte Marten wissen.
»Ja.« Sie sah weiterhin stur geradeaus. Marten Unruhs plötzliches Auftauchen verunsicherte sie, und das machte sie wütend. Sie könnte die Flughafenpolizei informieren … oder am besten gleich die Carabinieri, dachte sie, denn eigentlich war er doch verhaftet worden? Hatten die ihn gleich wieder auf freien Fuß gesetzt? Sie würde sich nicht einmischen, und wenn ihr der Kopf platzte!
»Du willst nicht mit mir reden.« Er klang nicht vorwurfsvoll, nicht resigniert, es war eine Feststellung.
»Genau.« Pia warf ihm einen kurzen Blick zu, zog dann die kleine Flasche Wasser aus ihrem Handgepäck, die sie sich in Perugia gekauft hatte, und trank ein paar Schlucke. Das Kind auf dem Arm seines Vaters ließ sie dabei nicht aus den Augen. Bestimmt hatte es auch Durst bei der stickigen Luft hier drinnen. Der kleine
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