Tödliche Mitgift
hässlichen gedanklichen Ausrutscher auf das andere unschöne Thema, auf das seine Mutter da beharrlich zusteuerte. »Das habe ich nicht zu entscheiden«, versuchte er, den Themenwechsel abzuwehren. Das Lübecker Marzipan war köstlich, butterweich und süß. Es passte optimal zu der mit Nusssplittern vermischten, nicht zu süßen Sahne und dem Biskuit. Man schmeckte gleich, ob alles frisch war. Im nächsten Leben würde er Konditor werden …
»Wie lange bist du eigentlich in diesem Kommissariat dabei, Heinz? Wärst du nicht mal wieder dran mit einer Beförderung?«, stocherte Mathilde Broders hartnäckig in der Wunde, die seit geraumer Zeit offen schwärte.
»Glaubst du, ich will die Verantwortung für den ganzen Verein?«, entgegnete Broders. Sie lächelte nur. Er wusste, dass er seine Mutter nicht täuschen konnte, da sie nur zu gut wusste, wie es in ihm aussah. Aber vielleicht gelang es ihm, die Unterhaltung auf ein Nebengleis zu führen. Weg von seinem mühsam im Zaum gehaltenen Ehrgeiz, dem Wunsch nach Anerkennung und Macht. Stattdessen sagte er, während das letzte Stück Marzipankuchen auf seiner Gabel in der Luft schwebte: »Heute ist übrigens meine Kollegin aus Italien wiedergekommen.«
»Diese kleine Polin? Kowalski oder wie sie heißt?«
»Sie ist weder Polin, noch ist sie klein«, erwiderte Broders, leicht belustigt über die Umschreibung. »Pia Korittki ist ihr Name. Sie ist heute Mittag wieder in Lübeck angekommen, war aber nur kurz im Büro. Wie es aussieht, ist sie in dem Fall, dessentwegen sie nach Italien geflogen ist, auch nicht viel weiter als vorher. Stattdessen gibt es noch einen ermordeten Deutschen und noch mehr offene Fragen.«
»War das die Geschichte, in die die Dreylings um drei Ecken verwickelt waren?«, erkundigte sich Mathilde und goss noch einmal Kaffee nach.
Broders sah sie misstrauisch an. »Sag nicht, ich hätte die Familie Dreyling dir gegenüber erwähnt?«
»Keine Sorge, Heinz. Bleibt alles unter uns. Außer mit meinem Butschi, meiner Nachbarin Frau Grell und Auguste Charlotte rede ich mit niemandem über deinen Beruf.«
Heinz Broders wurde ganz heiß, was auch an dem Kaffee liegen konnte, der immer noch fast siedend aus der Thermoskanne kam und den er etwas zu hastig getrunken hatte. Er hatte ihr die Kanne zum diesjährigen Muttertag geschenkt. Sie isolierte so gut, dass sich, wenn man nicht aufpasste, nach einem unbedachten Schluck die Haut vom Gaumen ablösen konnte …
Im Geiste ging er die kleine Aufzählung durch: Butschi war ihr Wellensittich, eigentlich Butschi VI., denn die Käfighaltung blauer Wellensittiche hatte bei Mathilde Broders eine lange Tradition. Auguste Charlotte war die älteste Freundin seiner Mutter, wahrscheinlich schon hundertundsieben Jahre alt und keine wirklich ernsthafte Gefahr. Aber diese Grell, die ein Stockwerk tiefer wohnte, war in Heinz Broders’ Augen ein Klatschweib erster Güte. Vertrauliche Informationen waren bei der so gut aufgehoben wie in der Tagespresse.
»Vergiss bitte alles, was ich darüber je gesagt haben sollte«, forderte er seine Muter deshalb eindringlich auf. Sie lächelte, freute sich offensichtlich über die Wichtigkeit der Angelegenheit und nickte. Er wusste aber, dass er sich auf seine Mutter verlassen konnte. Die Informationen, die Frau Grell bereits degoutiert hatte, waren unglücklicherweise schon mit dem Strom des allgemein bekannten Klatsches fortgerissen worden – und damit Allgemeingut der Bewohner der Siedlung …
»Und wer ist der andere ermordete Deutsche?«, hakte Mathilde Broders mit leicht schief gelegtem Kopf nach. Sie ähnelte dabei ihrem gefiederten Butschi in seinem Käfig auf der Fensterbank in der Küche.
»Der Bruder der Frau, die in dem Hotel ermordet wurde«, antwortete er widerstrebend.
»Erst die Schwester, dann der Bruder. Ein Verbrechen aus Leidenschaft, vielleicht eine gerächte Blutsünde?«
»Hey, kein Wort darüber, höchstens zu Butschi.«
»Den interessiert das leider nicht. Wie geht es denn nun deiner Kollegin nach ihrem Ausflug in die Welt von Machismo und Mafia?«
»Gut. Sie sah gut aus«, meinte er. Insgeheim dachte er, dass sie sich verändert hatte in der kurzen Zeit. Etwas war vorgefallen in Bella Italia, nur was?
»Hat sie was über Italien erzählt?«
»Noch nicht sehr viel. Sie hat ein Phantombild mitgebracht, das sie hier überprüfen will. Morgen findet eine große Dienstbesprechung zu dem Fall statt.«
»Manchmal beneide ich dich direkt«, gestand
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