Toedliche Offenbarung
einem Mord zu tun hat?«
»Ich weiß, das hört sich blöd an, aber in diesem Interview gibt es ein paar Passagen, die fügen sich wie ein Puzzle zusammen. Und das entscheidende Puzzleteil ist ein Junge mit einem Blutschwamm im Gesicht. Der Nachbarjunge hatte so ein Mal in der Form des afrikanischen Kontinents im Gesicht und ein Junge mit genau so einem Mal hat einen russischen Kriegsgefangenen erschossen. Ich gehe davon aus, dass es sich um Herbert Müller handelt.«
»Ach, deshalb sollte ich nach dem suchen.«
»Genau. Max versucht auch herauszubekommen, ob er noch lebt. Und wenn, dann ist er dran.«
Punkt 12:00 Uhr passieren Martha und Trixi das in die zwei Meter hohe Backsteinmauer eingelassene Stahltor des golterschen Anwesens am Rande von Celle. Anschließend fahren sie über die mit Buchsbaum gesäumte Auffahrt direkt auf die großzügige Villa zu. Der rote Klinker glänzt im Sonnenlicht und die dunkelgrünen Holzfensterläden der oberen Etage geben dem Haus einen überaus gediegenen Anstrich. Linkerhand steht ein Garagenbau mit vier Rolltoren, rechterhand säumt eine Armee schlanker Wacholderbüsche das Anwesen. Trotzdem erweckt das Gebäude den Anschein von geschmacklosem Protz. Vielleicht, weil alles überdimensioniert ist, vielleicht liegt es aber auch an den runden Türmchen und den verschnörkelten schmiedeeisernen Fenstergittern im Parterre, die nicht zum Rest der Architektur passen.
»Wovor hat der Angst?«, wispert Trixi und zeigt auf die Gitter vor den Fenstern.
»Keine Ahnung.« Martha schaltet das Diktiergerät in ihrer geräumigen Handtasche auf Aufnahme und drückt auf die Klingel. Ein tiefer Gong ertönt und die Haushälterin in weißer Schürze mit aufgesetzter Spitzenborte öffnet wenige Augenblicke später die Tür. Sie scheint sie erwartet zu haben, Martha kommt noch nicht einmal dazu, sich vorzustellen.
Die dralle Frau legt sofort los: »Sie sind sicher die Damen, die Herr Mallewitz angekündigt hat. Kommen Sie herein, Sie können im Herrenzimmer Platz nehmen. Der gnädige Herr wird gleich bei Ihnen sein.«
Das Herrenzimmer, ein großzügiger rechteckiger Raum, ist umlaufend mit dunkelbrauner Eiche getäfelt. Auf der linken Seite steht ein Bücherschrank, auf der rechten ein schwarzes Büffet. Aus der Entfernung macht Martha durch dessen grünverglaste Türen sowohl Cognac- als auch Whiskyflaschen aus. Im Fach darüber reihen sich Kristallgläser in allen Größen aneinander. Zwischen der Tür und dem Fenster stehen braune Ledersessel um einen Couchtisch. Über der Holzvertäfelung hängen Jagdtrophäen: ein ausladendes Hirschgeweih, etliche Böcke, der Kopf eines Bären und Geweihe, die sie nicht kennt.
»Boah, ist das irre«, staunt Trixi. »So was habe ich mal im Zoo gesehen.«
»Es ist das geschwungene Gehörn einer Impala oder Schwarzfersenantilope«, dröhnt der Hausherr gutgelaunt. Er hat beim Eintreten Trixis letzten Satz aufgeschnappt.
»Die Impalas benutzen ihr Gehörn gern als Waffe. Schöne Tiere mit rötlich gefärbtem Rücken und hellen Flanken, durch die zwei schwarze Streifen verlaufen. Für ihre Sprungkünste sind sie berühmt: Zehn Meter weit und drei Meter hoch springen sie auf der Flucht.« Bewunderung liegt in seiner Stimme. »Trotzdem habe ich eins erlegt. Mit einem Schuss.«
Mit ausgestreckter Hand strebt der alte Mann auf die beiden Frauen zu.
Martha ist überrascht, wie stark sein Händedruck ist. Überhaupt macht er einen kraftvollen Eindruck für sein fortgeschrittenes Alter. Auch der gewölbte Bauch, den die großzügig geschnittene Anzugjacke verdeckt, ändert nichts daran. Ihre Augen wandern zum Gesicht hoch und bleiben an der rechten Wange kleben. Dort ist ein dunkler Fleck. Ein Blutschwamm. Marthas Herz beginnt aufgeregt zu schlagen.
Der Blutschwamm ist längst nicht so groß, wie der auf dem Foto von gestern, er hat auch nicht die Form von Afrika, sondern höchstens von Australien. Trotzdem, eine Unruhe ergreift sie, ihre Hände zittern und auf dem Rand ihrer Oberlippe bilden sich winzige Schweißperlen. Martha reibt ihre Hände aneinander, atmet tief ein und aus. Bis zum letzten Wochenende hat sie nie einen Blutschwamm im Gesicht gesehen, jetzt scheinen sie sie zu verfolgen.
Als Trixi Marthas Verstörung bemerkt, übernimmt sie das Kommando und streckt entschlossen die Hand nach vorne.
»Schön, Sie kennen zu lernen, Herr Golter. Und schön, dass Sie uns für die Umsetzung Ihres Biografieprojektes in die engere Wahl
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