Toedliche Offenbarung
Mannes verhärtet sich. Martha registriert, dass die Selbstgefälligkeit des Alten an dieser Stelle einen wunden Punkt hat. Mit Sicherheit ist es nicht seine einzige Schwachstelle. Sich eine Biografie anfertigen zu lassen, weist andererseits auf Stolz hin. Man ist stolz auf das, was man geleistet hat und möchte es schriftlich festgehalten wissen. Vielleicht ist es so etwas wie ein Abschluss, ein Schlussstrich unter ein erfülltes Leben, egal, wie viele Leichen man im Garten verbuddelt hat.
»Im weitesten Sinne soll es mein Nachlass sein. Meine Familie ist weiter gefächert, als dies für andere gilt. Die Bewegung … Aber das tut hier nichts zur Sache.«
Martha achtet auf jedes seiner Worte. Der Mann liebt nur seine eigenen Wahrheiten, die nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen müssen. Mit seiner Frau und seiner Tochter stimmt etwas nicht. Mittenwald hat gesagt, dass sie in Kanada sind. Hoffentlich stimmt das. Clara sollte ja angeblich auch nach Amerika zurückgegangen sein.
Müller räuspert sich und ein unauffälliges Stirnrunzeln leitet einen Themenwechsel ein. »Sie haben schon Lebensgeschichten für andere aufgezeichnet?«
»Mehrmals«, lügt Martha zu ihrer eigenen Überraschung, ohne mit der Wimper zu zucken. »Letztes Jahr für einen Industriekapitän, der als Großwildjäger in den sechziger Jahren in Afrika unterwegs gewesen ist.«
»Sehr schön.« Müllers Gesichtszüge entspannen sich. Martha lächelt verstohlen Trixi an. Anscheinend hat er den Köder geschluckt.
»Am besten, wir halten gleich ein paar Fakten fest, dann kann ich mich über die örtlichen Gegebenheiten informieren und das Lokalkolorit später besser einfließen lassen. Was meinen Sie?«
»Warum nicht? Sie sind die Expertin für Biografien.«
»Wollen wir gleich beginnen?«
»Sie sind mir aber eine Zackige. Aber gut, warum nicht? Zielstrebigkeit hat mir schon immer gefallen. Womit wollen wir anfangen?«
»Wo sind Sie denn aufgewachsen?« In der Denicksstraße? Die letzten Worte kann sich Martha gerade noch verkneifen. Sie muss den Kerl kriegen, aber sie darf nichts überstürzen, sonst macht er die Schotten dicht.
20
Borgfeld stutzt, als Beckmann von den bepinkelten Hosen und den Laboruntersuchungen erzählt. Verdammt, flucht er in sich hinein. Was ist er für ein Idiot! Auf die Idee mit DNA-Spuren hätte er auch selbst kommen können.
In Borgfelds Kopf schieben sich in Bruchteilen von Sekunden die Eindrücke der letzten Stunden zusammen. Er sieht das angeekelte Gesicht seiner Tochter vor sich, die mit spitzen Fingern die stinkende Hose aus dem Spind des Krankenhauses holt, erinnert sich, wie Felix schamvoll zur Seite sieht.
Eine heiße Welle durchläuft Borgfeld. Aufgeregt wägt er noch einmal alles ab. Es gibt keine andere Schlussfolgerung.
»Ich hab’s«, ruft er in die Runde und ein Strahlen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
Streuwald sieht seinen Kollegen irritiert an. »Was hast du?« Sein Blick wandert zur Wasserflasche. Er greift danach und reicht sie Borgfeld.
Der wedelt nur abwehrend mit der Hand. »Den Mörder.«
»Was ist mit dem Mörder?« Streuwald hält ihm die Flasche noch einmal hin. Sauerstoffleere im Kopf. Das kennt er vom Training, wie oft sind seine Jungs da dehydriert – und wenn Borgfeld fastet, ist er nicht nur dehydriert, sondern auch noch unterzuckert.
»Lass mich mit deinem Wasser in Ruhe«, zischt Borgfeld. Er faltet die Hände und knackt mit den Fingern. »Ich weiß, wer der Mörder ist.«
»Ach«, kommt es ungläubig von Streuwald. »Willst du nicht doch lieber einen Schluck Wasser trinken?«
Beckmann hört auf, in den Papieren auf seinem Schreibtisch zu blättern.
»Und?«, fragt er skeptisch. »Wer ist es gewesen?«
21
Martha macht sich Notizen in ihren Block. Jetzt schaut sie auf. »Sie wurden also 1935 in Celle geboren. Wo haben Sie denn dann gewohnt?«
»In der Denickestraße.«
»Die liegt doch gleich in der Nähe des Bahnhofs.«
»Genau. Sie kennen sich gut in Celle aus.« Ein wohlwollendes Lächeln breitet sich um Müllers Mund aus.
»Gibt es Besonderheiten in Ihrer Kindheit? Eine zentrale Situation? Vielleicht im Krieg?«
»Da gab es viele Begebenheiten. Es waren stürmische Zeiten in Celle. Anders als heute.«
»Erzählen Sie einfach. Ich mache mir Notizen.«
Herbert Müller skizziert seine frühe Kindheit und Jugend. Er war das älteste Kind und musste früh mit anpacken, vor allem als der Vater gleich zu Beginn des Krieges eingezogen
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