Toedliche Offenbarung
Grundstücke, da ist kaum was übrig geblieben«, entgegnete ich.
Ich, ein angesehener Bürger Celles und Teilnehmer des 1. Weltkrieges, konnte es anfangs nicht fassen, wie man mit mir nach Hitlers Machtergreifung umging. Ich forderte mein Recht ein. Aber niemand wollte etwas davon wissen. Reichspogromnacht, Reichsfluchtsteuer – das interessierte keinen meiner Stammtischfreunde. Du glaubst gar nicht, wie schnell die sich von mir distanzierten. Im Gegenteil, alle versuchten davon zu profitieren. Allen voran Stadtsyndikus Vogel. Der spielte mit der Zeit. Statt mir einen fairen Preis zu machen, verleibte sich die Stadt Celle schließlich meinen gesamten Besitz für ein Butterbrot ein. Hatte das Finanzamt uns Juden am Anfang mit der Reichsfluchtsteuer drangsaliert, nahm man mir 1939 sogar die Verfügungsgewalt über das restliche Barvermögen. Ins Ausland durfte ich auch nichts transferieren. Also reichte das Geld für die Ausreise nach Amerika nur für Dich, Clara, und Deine liebe Mutter.
16
Beckmann wählt die Nummer aus Celle. Nach dreimaligem Tuten springt der Anrufbeantworter an.
»Hier ist der Anschluss von Julius Trott. Leider kann ich zurzeit Ihren Anruf nicht entgegennehmen. Hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe schnellstmöglich zurück.«
Zu viel Glück darf man nicht verlangen. Dafür beantwortet Schmidt zügig die Anfrage nach dem Golfball und schickt mehrere Fotos mit dem Kommentar: »Wenn die bunten Fahnen wehen, geht die Fahrt wohl übers Meer.«
»Was ist mit unserem Knochenbrecher los?«, raunt Beckmann in die Runde. »Ist er jetzt unter die Scherzbolde gegangen?«
Niemand antwortet, denn genau in diesem Moment klingelt der andere Dienstanschluss.
»Polizeiinspektion Burgdorf, Kommissar Borgfeld«, bellt der in den Hörer. »Ja.« Seine Augen weiten sich. Immer wieder nickt er und murmelt: »Verstehe.«
Als er auflegt, kommt Leben in ihn.
»Das war das Celler Krankenhaus. Felix ist dort eingeliefert worden«, stößt er erleichtert aus. »Zwar lädiert, aber er lebt. Am Kopf hat er eine Platzwunde, dazu ein Hirn-Schädel-Trauma. Drei Rippen und das Schlüsselbein sind gebrochen. Er muss mindestens 48 Stunden stationär dableiben und bekommt Infusionen. Der Junge muss stundenlang durchs Moor geirrt sein, ohne einen Tropfen Wasser – und das bei der Hitze. Ein Soldat hat ihn heute früh unter einem Hochsitz in der Nähe von Bergen-Belsen am Rande des Truppenübungsgeländes gefunden und von dort in die Klinik gebracht.«
Auch Beckmann fällt bei dieser Nachricht ein Stein vom Herzen. »Dann können wir uns jetzt ja mit allen Kräften auf den Mordfall Broderich konzentrieren.«
Borgfeld öffnet den Mund, schließt ihn aber fast sofort wieder. Der Mordfall Broderich steht ab jetzt im Mittelpunkt der Arbeit. Trotzdem würde er gerne den Jungen im Krankenhaus besuchen. Er hat da so ein komisches Gefühl. Das irritiert ihn. Sollte etwas von Beckmanns intuitivem Arbeitsstil auf ihn abgefärbt haben?
»Könnte ich zu dem Jungen fahren? Vielleicht ergibt eine Befragung etwas.« Endlich ist es heraus. »Wörstein und seine Jungs liegen mir auf dem Magen.«
»Kann ich gut verstehen.« Beckmann geht es da nicht anders. Wörstein kennt Broderich, Felix verschwindet auf Wörsteins Gelände. Das kann unabhängig voneinander geschehen sein, aber der Name Wörstein verknüpft beides. Das hat ja sogar die Mackenrodt eingesehen.
»Anschließend fahren Sie bei diesem Julius Trott in Celle vorbei, das liegt auf dem Weg. Von dem würde ich gerne etwas über sein Gespräch mit Broderich hören, schließlich ist er der Letzte, von dem wir wissen, dass er mit Broderich geredet hat.« Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, das ist Beckmanns Spezialität.
»Geht klar«, Borgfeld lächelt Beckmann dankbar an und tippt schon Sonjas Nummer ins Handy, während Beckmann sich die Fotos von Schmidt vornimmt.
17
Martha parkt vor Roswithas Haus ein. Die Historikerin wohnt in einem mehrgeschossigen alten Wohnhaus aus der Jahrhundertwende in einer ruhigen Seitenstraße am Rande der Celler Altstadt, gleich hinter dem Neuen Wall.
»Du machst es ja wirklich dringend.« Roswitha sieht verschlafen aus, als sie die Tür öffnet.
»Komm rein, aber sei leise.«
In der Küche stellt Roswitha die Kaffeemaschine an und setzt sich zu Martha, die den Stapel der gelesenen Blätter bereits auf dem Tisch ausgebreitet hat. Roswitha blättert in den handschriftlichen Aufzeichnungen.
»Warum ist das eigentlich so
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