Toedliche Offenbarung
steht.
35
»Wir lassen den Zeitungsartikel so, wie er ist. Der neue Mord hat in Celle stattgefunden. Da sollten wir die Arbeit den Kollegen überlassen, die für den Niedersachsenteil des Hannoverschen Anzeigers im Hauptteil verantwortlich sind – und natürlich denen von der Celleschen Zeitung . Wir können das dann morgen ja übernehmen. Das spart Arbeit.« Mittenwald dreht seine Zigarre in der Hand und schneidet sorgfältig die Spitze ab.
»Morgen ist auch noch ein Tag.« Das Streichholz flammt auf und er hält die Zigarrenspitze ins Feuer.
Martha äußert keine Einwände – nicht, weil sie ihm zustimmt, im Gegenteil, sie verfolgt einen ganz anderen Gedanken.
»Könnte man nicht die Zusammenarbeit mit der Celler Zeitung grundsätzlich intensivieren? Ehlershausen liegt doch fast an der Landkreisgrenze zu Celle.«
Mittenwald wirft ihr einen überraschten Blick zu.
»Wie kommen Sie denn jetzt darauf?«
»Ich habe Ihnen doch von dieser Interviewsammlung erzählt. Wir könnten die Sache zusammen mit den Cellern groß herausbringen.«
»Mädchen, Mädchen, das ist alles schon so lange her. Das interessiert keinen mehr.«
»Aber dieser Herbert Müller war auf der Flakstation. Und er hat geschossen. Vielleicht lebt er ja noch.«
»Lassen Sie sich eins gesagt sein: Sollte dieser Müller noch leben, wie wollen Sie ihm nachweisen, dass er tatsächlich auf der Flakstation war und Leute erschossen hat? Die alten Interviews sind kein Beweismittel, das kann alles auch mit viel Fantasie vermischt sein.«
Mittenwald stößt mit Genuss einen Rauchkringel aus seinem Mund und beobachtet, wie er langsam aufsteigt und dann wieder absinkt.
»Außerdem war Müller damals minderjährig und in einer sehr speziellen Situation. Versetzen Sie sich in seine Lage: Der erste Flakeinsatz seines Lebens, er kommt direkt aus der Schule – wie hieß noch dieser Lehrgang?«
»Bannausbildungslager«, antwortet Martha, während sie beobachtet, wie der Rauchkringel sich in einen schlierigen Rauchfaden verwandelt und sich schließlich in rauchigen Dunst auflöst.
»Das war eine Pflichtveranstaltung in der Schule.«
»Wie auch immer«, übergeht Mittenwald die Erklärung. »Aufgeputscht von seinen Ausbildern in diesem Bannausbildungslager will der junge Müller gegen den Feind kämpfen. Alle anderen sehen das genauso, loben ihn vielleicht sogar für seinen hochmotivierten Einsatz mit der Waffe in der Hand.« Mittenwald dreht seine Zigarre bedächtig zwischen seinen Fingern. »Das war eine andere Zeit damals. Selbst wenn er geschossen hätte, wird er sich darauf berufen, dass er einen Befehl erhalten und den lediglich ausgeführt habe. Beweisen Sie ihm da mal das Gegenteil. Und Zeugen? Die übrigen Männer von der Flakstation sind garantiert alle tot – und wenn nicht, sagen die bestimmt nicht gegen ihn aus. Schon gar nicht nach so vielen Jahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Gericht da rantraut.«
»Mag sein.« Martha zögert einen kurzen Augenblick, »… vielleicht hat er aber auch etwas mit dem Verschwinden von Clara Rosenthal zu tun.«
»Sie wollen sich wohl unbedingt die Finger verbrennen!«
Mittenwald hat den Satz gerade zu Ende gesprochen, als es klingelt. Er nimmt das Telefon der Gegensprechanlage ab.
»Besuch für Sie. Ein Herr Zander, Lehrer an der Waldschule in Ehlershausen. Er sagt, er sei mit Ihnen verabredet. Mit Ehlershausen scheinen Sie es ja im Moment zu haben,« brummt er verwundert. »Wer ist das?«
Ein Lächeln huscht über Marthas Gesicht.
»Ich habe ihn vorhin bei der Mahnwache kennen gelernt. Sein Vater heißt Emil Zander und ist mit Herbert Müller aufgewachsen.«
Mittenwald schüttelt nachdenklich den Kopf.
»Frau Landeck, verrennen Sie sich nicht in dieser Sache. Es gibt Wichtigeres als diese alten Interviews.«
Martha geht über die breite Eichenholztreppe eine Etage tiefer zur Eingangstür. Als sie öffnet, grüßt der Mann mit der Nickelbrille mit einem höflichen Nicken, wobei sein Mund auf- und zuschnappt wie bei einem Terrier, der überlegt, ob er zubeißen soll oder nicht. Der bissige Mund passt nicht zu seinem sonst freundlichen Aussehen. Da hat Beckmann Recht. Aber wie ein Frettchen sieht er wirklich nicht aus. Peter Zander trägt eine khakifarbene Zipp-Hose mit farblich passendem T-Shirt, dazu Treckingsandalen.
»Da bin ich. Ich habe alles mitgebracht. Wie versprochen.«
Martha begrüßt ihren Gast mit Handschlag und bittet ihn in ihr Zimmer. Peter Zander folgt
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