Toedliche Offenbarung
Beckmann. Hat Meyer etwa noch einen Kollegen dabei?
»Entschuldigung, dass ich zugehört habe, aber bei dem Namen Herbert Müller konnte ich nicht weghören. Gestatten, dass ich mich vorstelle: Zander, Peter Zander. Mein Vater ist mit einem Herbert Müller aufgewachsen. Vielleicht täusche ich mich ja auch. Schließlich ist Müller kein seltener Name.«
34
Beckmann legt die Füße auf den kalten Heizkörper und starrt aus dem Fenster. Draußen in der Sonne rührt sich nichts auf dem schattenlosen Platz. Die spätsommerliche Hitze lähmt alle Aktivitäten. Auch die Mahnwache hat sich nach einer guten halben Stunde aufgelöst, nachdem ein junges Mädchen in Ohnmacht gefallen ist.
Beckmann dreht sich zu Borgfeld um, der gerade die Wassergläser frisch gefüllt hat. Seine Wangen sind eingefallen, aber sein Blick ist lebendiger als heute Morgen. Man sieht ihm die Erleichterung über das Auftauchen von Felix an, daran ändert selbst der Mord an Julius Trott nichts.
Zwei Morde in zwei Tagen. Das gefällt Beckmann gar nicht. Wenn sie jetzt nicht schnell die Fälle lösen, werden sie noch monatelang damit zu tun haben. Statistische Wahrheiten können motivieren oder lähmen. Beckmann entscheidet sich für das Erstere.
»Hat jemand Hunger oder können wir mit der Besprechung anfangen?«, fragt er in die Runde.
Streuwald schüttelt den Kopf und Borgfeld tut es ihm gleich, auch wenn sein Magen knurrt.
»Der Wille ist alles, sagt die Leiterin bei den Weight Watchers immer«, murmelt er und bereut diesen Satz sofort, als aus dem Nachbarraum ein lautes »Ja« von Rischmüller kommt, der am Computer von Broderich arbeitet.
»Riesigen Hunger«, setzt Rischmüller noch hinterher.
Eine halbe Stunde später hat sich Rischmüller den letzten Rest des Kuchens einverleibt, den eine Kollegin anlässlich ihres Geburtstages am Freitag mitgebracht hatte. Borgfeld hat jeden Bissen von Rischmüller abgezählt, in der Hoffnung, dass etwas übrig bleibt. Aber Rischmüller hat alle drei Stücke in sich hineingestopft, ohne noch einmal zu fragen. Borgfeld bietet sich an, den Teller hinaus zu tragen und klaubt dabei die letzten Krümel vom Teller.
Als er wieder zurückkommt, sitzen alle erwartungsvoll um den langgezogenen Tisch. Die von Felix geschossenen Fotos sind ausgedruckt und hängen an der Pinwand. Matusch und Kevin Fischer sind gut darauf zu erkennen.
»Der da«, Borgfeld zeigt auf Matusch, »den habe ich vorhin auf dieser Mahnwache gesehen.«
Streuwald baut sich vor der Fotografie auf und studiert die Köpfe der Jungen eingehend.
»Ich dachte immer, diese Rechten laufen einheitlich mit kahlgeschorenen Schädeln und Bomberjacken herum.«
Streuwald deutet auf einen Blonden.
»Der hier ist auf den ersten Blick gar nicht von den anderen zu unterscheiden.« Seine Augen wandern von dem gepflegten Kurzhaarschnitt des einen Jungen zu dem eines anderen. Dann bleibt sein Blick auf den Zahlen des T-Shirts hängen.
»Bedeutet die 88 auf dem Rücken eigentlich was?« Streuwald schaut erwartungsvoll in die Runde.
»Hab ich mich auch schon gefragt«, kommt es gedehnt von Borgfeld. »Fast alle tragen irgendwelche Zahlen durch die Gegend.«
»Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet. Zweimal acht steht für Heil Hitler . Die von einem Lorbeerkranz eingerahmte 88 ist oft als Brustemblem auf Polohemden zu finden. Diese Zahlen werden auf Aufnähern, Fahnen oder Emblemen verwendet, aber ebenso als Grußformel in Briefen benutzt, häufig sind sie Bestandteil von Band- und Organisationsnamen«, rattert Beckmann herunter. »18 bedeutet Adolf Hitler .«
»Wirklich?«, kommt es wie aus einem Mund von Borgfeld und Streuwald. Genauso wenig wussten die beiden bisher, dass die Kleidermarke Consdaple und die Produkte von Thor Steinar Erkennungscodes der rechten Szene sind.
»Bei dem Schriftzug von Consdaple verdeckt man gerne einige Buchstaben mit einem Schal, sodass nur nsdap übrig bleibt«, erklärt Beckmann.
»Und wie sehen diese Sachen aus? Sind die irgendwie anders?«, kommt es gequält von Streuwald, der sich nur mit wenigen Markenartikeln auskennt. Adidas , Puma , Nike . Von Consdaple und Steinar hat er noch nie gehört.
»Die Jungen unterscheiden sich äußerlich kaum von anderen, abgesehen von den Bomberjacken. Außerdem tragen die Rechten zunehmend die gleichen schwarzen Kapuzenpullis wie die Autonomen und vermummen sich mit Palästinensertüchern – da wissen die Kollegen im Einsatz manchmal nicht, wer auf welcher Seite
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