Toedliche Offenbarung
prescht Martha vor. Vielleicht kommen jetzt die Fakten, auf die sie die ganze Zeit gewartet hat.
»Ich muss sie enttäuschen. Den Namen habe ich nie gehört. Aber wie gesagt, mein Vater hat nie über früher geredet.«
»Hätte ja sein können.« Martha streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Das wäre ja auch zu schön gewesen.
Zander blättert im Fotoalbum weiter.
»Hier hinten sind noch mehr Fotos von Müller.« Plötzlich hält er mitten im Blättern inne. »Vielleicht hat das ja nichts zu bedeuten.«
»Was denn?«
»Ach nichts.«
»Sagen Sie es ruhig, manchmal ergeben unwichtige Dinge in anderem Zusammenhang einen Sinn.«
»Mein Vater hat in letzter Zeit mehrmals den Namen Clara erwähnt. Aber das hat sicher nichts zu bedeuten.«
Marthas Aufmerksamkeit ist trotzdem geweckt.
»Wieso gerade in letzter Zeit?«
»Wissen Sie, mein Vater leidet unter Altersdemenz, noch in einer schwachen Form, aber es wird zunehmend schlimmer. Ich habe ihn in einem Pflegeheim untergebracht, weil ich mit der Betreuung überfordert bin. Er vergisst ständig Dinge des Alltags: Termine, den Wasserkessel auf der Gasflamme, vom Schlüssel gar nicht zu reden. Dauernd wiederholt er seine Fragen und Geschichten, andererseits erinnert er sich an Sachen, die lange zurück liegen. Letzte Woche hat er gesagt: ›Clara, wo bist du?‹ Vielleicht ist das die Clara, die Sie meinen.«
Marthas Augen verengen sich zu Schlitzen. Clara, wo bist du? Das ist die Frage, die auch Martha sich die ganze Zeit stellt.
»Wo befindet sich das Heim Ihres Vaters?«
»In Kleinburgwedel.«
Das ist keine zwanzig Minuten von Burgdorf entfernt. Augenblicklich steht Marthas Entschluss fest.
»Darf ich Ihren Vater besuchen?«
»Warum nicht?« Zander zieht die Hosenbeine seiner Zipphose übers Knie und reibt sich seine schmalen Finger. »Mein Vater freut sich immer, wenn jemand vorbeikommt; aber dass Sie viel von ihm erfahren werden, kann ich mir nicht vorstellen. Er verliert dauernd den Faden. Ich sagte ja schon, dass er unter Altersdemenz leidet.«
Ja, das hatte er gesagt. Eine leichte Form von Demenz. Vielleicht ist er ja noch nicht komplett in die Innenwelt seiner Gedanken abgetaucht. Plötzlich hat Martha eine Idee.
»Könnte ich mir die Fotos ausleihen und mitnehmen?«
Die könnten dem alten Mann auf die Sprünge helfen.
»Von mir aus. Wann wollen Sie hin?«
»Morgen früh um zehn Uhr?«
»Das ist eine gute Zeit zwischen den Mahlzeiten. Ich melde Sie an.«
36
»Fassen wir zusammen.« Beckmann geht zu der weißen Metalltafel, greift nach dem roten Edding und schreibt: Henry Broderich. Anschließend malt er einen Kreis darum. Ein paar Zentimeter weiter rechts schreibt er: Julius Trott. Auch der Name wird von ihm eingekreist.
»Das sind unsere Mordopfer.« Dazwischen setzt er einen Pfeil mit zwei Spitzen. »Beide wurden erwürgt. Einer bekam zusätzlich noch den Golfball in den Mund gestopft. Wir gehen davon aus, dass es sich in beiden Fällen um den gleichen Täter handelt. Einwände?«
Streuwald und Borgfeld schütteln den Kopf und starren beeindruckt die Kreise an.
»In welcher Verbindung stehen die Opfer zueinander?« Nachdenklich fasst sich Beckmann an die Unterlippe und streicht mehrmals darüber. »Trott findet ein Manuskript und will, dass es veröffentlicht wird. Irgendwie muss Broderich von diesem Text gehört haben. Vielleicht hat er auch nur Auszüge gesehen und will das Material jetzt komplett haben. Deshalb das Treffen im Dorfkrug.«
»Was für ein Manuskript?« Rischmüller sieht neugierig von seinem Laptop auf.
»Bei der Landkreisausgabe des Hannoverschen Anzeigers wurde am Freitag eine Art Tagebuch aus der Nachkriegszeit abgegeben. Eine Frau hat in Celle Leute interviewt und das Ganze aufgeschrieben. Es ging um die letzten Tage im Zweiten Weltkrieg.«
Gelangweilt bohrt Borgfeld sich bei dieser Erklärung in der Nase und zuckt erschrocken zusammen, als Beckmann ihn dabei anstarrt. Ertappt steckt er den Finger samt Popel in seine rechte Hosentasche und nimmt Haltung an, wie ein Schüler, der beim Abschreiben erwischt wird.
»In diesen Interviews ging es darum, dass Celler Bürger Jagd auf KZler machten, die bei einem Bombenangriff entkommen sind.«
Als Beckmann die ungläubigen Blicke der anderen bemerkt, informiert er sie so kurz es geht darüber, was damals passiert ist.
»Aber das ist doch alles schon ewig her«, wendet Streuwald ein.
»Stimmt«, gibt ihm Beckmann Recht. »Aber etwas daran hat Broderich
Weitere Kostenlose Bücher