Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
unbedachten Gesten in Erinnerung rief und jedes einzelne ihrer Worte analysierte, Bedeutungen in sie hineinlas und Zusammenhänge herstellte, die wahrscheinlich ziemlich ungerechtfertigt waren.
Marjorie hatte einen tief in ihm schlummernden Vulkan der Leidenschaft entfacht, der bei einem so unscheinbaren und zurückhaltenden Menschen wie George Ely sonst vielleichtnie zum Vorschein gekommen wäre. Er hatte seine relative Reife mit wenig bis gar keinem Kontakt zu Frauen erreicht. Und jetzt, da er Feuer gefangen hatte, war sein Verlangen so glühend wie das aller jungen Männer. In den letzten Wochen hatten sich explosive Gefühle sehr viel größeren Ausmaßes als in all den vorangegangenen Jahren in ihm angesammelt, und an diese hatte Marjorie in der letzten Nacht gerührt. Er war im Taumel der ersten großen Liebe eines Mannes. Er betete ihre dunkle Schönheit an und das, was er als ihr Auftreten, ihren Takt und ihre Fähigkeiten bezeichnete. Die ganze Nacht lang warf und wälzte er sich im Bett herum, beschwor Bilder von ihr vor seinem geistigen Auge herauf und sehnte erwartungsvoll den Morgen herbei – es wäre schwierig, ganz genau zu sagen, was er von diesem Morgen erwartete, aber er erwartete etwas.
Überflüssig zu sagen, dass der Morgen ihm nur wenig Trost brachte. Sein Blick folgte Marjorie durchs Zimmer, und er verschlang sie geradezu mit den Augen; doch sie versuchte ihm auszuweichen. Sie schien ein wenig mehr als sonst mit den Kindern und dem Zubereiten des Frühstücks beschäftigt zu sein. Und sie ging auf Derricks Bitte ein (als sie alle berieten, wie sie den Tag verbringen sollten), dass sie mit ihm und Anne an diesem Vormittag an den Strand gehen solle; und lediglich beim Beantworten einer direkten Frage von Anne sagte sie, dass der »Onkel« natürlich auch mitkommen könne, wenn er denn wolle. Er wollte. Er nahm die Einladung begeistert an.
Doch auf dem Weg an den Strand hinunter hatte Marjorie Anne an der einen und Derrick an der anderen Seite, und als sie sich einen Platz für den Tag ausgesucht hatten, im Windschatten der Buhne, war sie sehr beschäftigt damit, den Kindern Spiele vorzuschlagen, die sie spielen könnten. Georgewar schon fast beleidigt, als es ihm gelang, sich in einem Moment, als die Kinder weg waren, ihre Aufmerksamkeit zu sichern. Er griff nach ihrer Hand.
»Marjorie!«, sagte er drängend, beugte sich zu ihr und zwang sie, ihn anzusehen. »Marjorie! Was ist denn nur los heute Morgen?«
Seine Berührung und die Sorge in seinem Gesicht fegten die Gleichgültigkeit hinweg, um die sie sich bemüht hatte.
»Oh, nicht«, erwiderte sie mitleiderregend. »Warte. Warte bis heute Abend.«
Das reichte George aus. Das war alles, was er wollte. Er beschimpfte sich selbst dafür, ein solch blinder taktloser Dummkopf zu sein – natürlich wollte sie weder ein Wort an ihn noch eine Geste riskieren, wenn die Kinder es bemerken könnten. Das wäre wirklich furchtbar, auch wenn die beiden in ihm (wovon George mit großer Selbstverständlichkeit ausging, ohne auch nur einen Augenblick lang die Folgen zu bedenken) schon in wenigen Monaten den Vater sehen würden. Solange Marjorie ihn nur liebte, gab er sich damit zufrieden, den ganzen Tag am Strand zu verbringen, mit den Kindern zu spielen, mit ihr baden zu gehen, die aufrichtige Kameradschaft vorzugeben, die er zu Anfang dieses Urlaubs für sie empfunden hatte, und in Gegenwart ihrer Mutter ein Verhalten an den Tag zu legen, das wie respektvolle Gleichgültigkeit wirken sollte, Mrs Clair aber nicht den Bruchteil einer Sekunde täuschte, weder als sie zum Mittagessen nach Hause kamen noch als sie den Strand schließlich mit den erschöpften und müden Kindern verließen und zum Tee eintrafen.
Beim Tee verkündete Mrs Clair ein überraschendes Vorhaben.
»Heute Abend möchte ich meinen alten Schwarm mal sehen«, sagte sie schelmisch.
»Deinen was , Mutter?«, fragte Marjorie, ein wenig erschrocken.
»Meinen alten Schwarm. Gary Cooper. Im Majestic läuft ›Mr Deeds‹ mit ihm. Es ist natürlich unsinnig, dich zu fragen, ob du mitkommen willst. Du hast ihn schon mit Ted gesehen. Außerdem muss auch jemand zu Hause bleiben, und ich finde, jetzt habe ich einmal einen freien Abend verdient. Findest du nicht auch, George?«
»Ja«, erwiderte George, bemüht die Begeisterung in seiner Stimme niederzukämpfen.
Mrs Clair war clever. Es stimmte vollkommen, dass jemand zu Hause bleiben musste, wenn die Kinder schliefen. Und es stimmte ganz
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