Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Es hatte tatsächlich keiner daran gedacht. Sowohl George als auch Marjorie konnte man am Gesichtsausdruck ablesen, wie sehr diese Erinnerung sie schockierte. Anne bedauerte es ebenfalls. Nur Derrick blieb gleichmütig – die Aussicht auf einen weiteren ganzen Tag an der Küste rückte die Rückkehr am nächsten Tag noch in weite Ferne für ihn.
»Nun, was wollt ihr denn alle machen?«, wiederholte Mrs Clair.
»An den Strand gehen«, sagte Anne.
»An den Strand gehen«, echote Derrick.
»Manche scheinen in jeder Lebenslage zu wissen, was sie wollen«, bemerkte Mrs Clair. Weder George noch Marjorie wussten irgendetwas zu sagen.
»Später werden wir packen müssen«, fuhr Mrs Clair fort. »Dann wirst du genug zu tun haben, Marjorie. Willst du heute Vormittag nicht noch mit George und den Kindern an den Strand hinuntergehen, während ich die Hausarbeit erledige?«
Dem stimmten alle begeistert zu.
An diesem Vormittag war es anders am Strand als gestern. Anstatt lange zeitraubend einen Platz bei der Buhne zu suchen, beeilte Marjorie sich. Anstatt lange darauf zu warten, dass die Kinder zu spielen anfingen, trieb sie die Dinge selbstvoran. Sie machte den unglaublichen Vorschlag, beiden ein Eis zu kaufen, das sie nicht aus dem Pappbecher essen müssten, sondern an einem Tisch in einem richtigen Café, falls es ihnen gelang, an diesem Vormittag eine Sandburg zu bauen, die einer solch enormen Belohnung wert wäre. Die Kinder machten sich sofort an die Arbeit – Derrick schaufelte emsig drauflos mit seiner Holzschaufel, um einen Sandhügel aufzuhäufen, der groß genug war für den Einfallsreichtum seiner Schwester, während Anne mit der Hand unter dem Kinn um ihn herumging und architektonische Träume träumte. Dann war Marjorie in der Lage, zu George zu gehen, der sich eben vor die Buhne setzte. Sie konnte seine Hand drücken und ihn anlächeln, und er konnte ihr Lächeln erwidern, und für eine Weile vergaßen sie die Welt um sich herum.
Aber nicht lange. Denn plötzlich sprudelte in Marjories Kopf ein Springbrunnen hässlicher Gedanken – die Erinnerung ihrer Mutter, dass dies ihr letzter Tag sei, war wirklich clever gewesen. Morgen musste sie dorthin zurückkehren, wo Ted auf sie wartete. Dort wartete das Haus im Harrison Way, auf das sie einst so stolz gewesen war. Und auch wenn sie hier abschweifte, so war es doch wichtig zu bedenken, wie schmutzig und unaufgeräumt das Haus sein würde, nachdem Ted dort drei Wochen lang allein gewohnt hatte, und was für ein Berg Wäsche am Montag auf sie warten würde. Dort wartete auch das schäbige Wohnzimmer auf sie, ein Gedanke, den Marjorie kaum ertragen konnte, und das Badezimmer und das Schlafzimmer, und Ted mit seinen scheußlichen Lippen und Händen. Hände, die einst Dot befummelt hatten. Hände, die rot waren von ihrem Blut. Marjorie wurde von Schaudern erfasst.
»Liebling«, sagte George. »Was ist los? Was hast du denn, Liebes?«
»Was sollen wir nur tun ?«, fragte Marjorie und zerrte mit ihren Fingern an seinen Händen, als die Erkenntnis sie erneut unvermittelt traf. Sie sprach wie eine Wahnsinnige. »Was sollen wir nur tun ? Was sollen wir nur tun ?«
»Was wir tun sollen?«, gab George standhaft zurück. Er war noch nicht beunruhigt. Unbestimmt hatte er das Gefühl gehabt, dass es schon einen Ausweg aus den Schwierigkeiten geben würde, die vor ihnen lagen; sein Glück war zu groß gewesen, um sich Gedanken über die Einzelheiten zu machen. »Oh, es wird alles gut werden, Liebling. Heutzutage ist es nicht mehr so schlimm. Was ist schon eine ...«
»Scheidung« war das Wort, das er hatte sagen wollen, doch es blieb unausgesprochen. Sobald er der Realität derart nahekam, erkannte er viel deutlicher all die Einwände, die es gegen einen solchen Plan gab. Marjorie sprach das Wort für ihn aus.
»Eine Scheidung? Was, ich soll mich von Ted scheiden lassen? George, Liebling, das ist unmöglich. Denk doch mal nach ... Was wird aus deiner Stelle?«
Drei Wochen lang hatte George keinen Gedanken an seine Stelle verschwendet. Er war Graingers Untergebener in der Filiale der Gas-Gesellschaft. Seine Zukunft hing praktisch von Graingers Gnaden ab. Und nicht nur das, da war auch noch der Geschäftsführer der riesigen Firma, der weit über Grainger thronte und berüchtigt war für seine Sittenstrenge und dafür, jeden Mitarbeiter unverzüglich zu entlassen, der auch nur im Mindesten von dem abwich, was er für den Pfad der Tugend hielt. George war die Bestürzung
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