Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
interessanter. Jemand flüsterte, jemand schlich langsam den Weg entlang. Der Sergeant wich von der Pforte zurück, an der Hecke entlang, in der er eine kleine Lücke fand, die ihn in der Dunkelheit verbergen würde. Wer immer da kam – und es klang, als wenn es zwei Leute wären –, kam den Weg entlanggeschlichen. Die Pforte quietschte ein wenig, und jemand trat heraus und sah sich nach beiden Seiten um, so als wollte er sich versichern, dass niemand da war. Sergeant Hale stand reglos in seiner Nische in der Hecke. Jetzt hörte er erneut ein Flüstern – die Stimme einer Frau.
»Komm«, sagte sie. »Es ist alles in Ordnung.«
Ihren bedächtigen Schritten nach zu urteilen, schienen sie etwas Schweres zu tragen. Und so war es auch. Mit scharfen nervösen Atemstößen hoben sie ihre Last auf das Geländer, das den Trampelpfad von den Eisenbahnschienen abgrenzte. Einer von ihnen begann darüberzuklettern, und Sergeant Hale fand, dass es jetzt an der Zeit sei einzugreifen.
»Was geht hier vor sich?«, fragte er aus der Hecke hervortretend.
Die Frau schrie auf vor Angst und Überraschung; der Mann, dem trotz der Dunkelheit das Schuldbewusstsein an jeder seiner Bewegungen abzulesen war, sprang von dem Geländer wieder herunter. Keiner der beiden sagte ein Wort.
»Was haben Sie da?«, fragte Sergeant Hale. Er hegte keinerlei Verdacht, was es sein könnte, und so holte er seine elektrische Taschenlampe hervor und leuchtete das Bündel an, das am Geländer lehnte.
»Mein Gott!«, rief er und griff blitzschnell mit der Hand nach seiner Polizeipfeife.
Da erwachte Mrs Clairs Geistesgegenwart wieder zu neuem Leben. Sie packte seine Hand und hielt sie fest.
»Komm schon, George!«, rief sie. »Schlag ihn! Schnapp ihn dir!« George kam herangesaust und nahm die massige Gestalt des Sergeants in genau dem Moment mit beiden Armen in den Klammergriff, als der Sergeant Mrs Clair abgeschüttelt hatte. Die Männer wankten und taumelten in einem harten Kampf, und sie keuchten beide vor Anstrengung. George war geistig immer noch benommen, so wie schon die ganze Zeit, seit er im Wohnzimmer jenen Schlag ausgeführt hatte. Er wehrte sich tapfer gegen den kampferprobten Polizisten. Doch selbst als es dem Ende zuging, drehte Mrs Clair sich erneut herum und rannte wild drauflos den Gartenweg zurück. Ein einziger Gedanke schoss ihr durch den Kopf, während sie rannte – sie dankte Gott, dass sie die Voraussicht besessen hatte, die fünfzig Pfund von ihrem Bankkonto abzuheben, und dass sie sie heute Abend in ihrer Handtasche dabeihatte.
Sie riss die Verandatür auf. Marjorie betrat eben das Wohnzimmer, einen Eimer heißes Wasser in der einen und eine Scheuerbürste in der anderen Hand. Als ihre Mutter so unvermittelt hereinkam, erschrak sie und schrie auf. Der Eimer fiel klappernd zu Boden, und ein Sturzbach von Wasser ergoss sich in das Zimmer.
»Komm mit!«, rief Mrs Clair. »Komm mit! Mach dir darum keine Sorgen.«
Hastig zerrte sie ihre Handtasche aus der ledernen Tragetasche, die auf dem Beistelltisch lag. Dann ergriff sie Marjorie am Arm und zog sie aus dem Wohnzimmer.
»Ist dein Hut oben?«, fragte sie im Flur.
»Ja«, sagte Marjorie.
»Dann müssen wir ohne ihn auskommen.«
Sie riss die Haustür auf und drängte Marjorie auf die Straße hinaus. Sie rannten beinahe, als sie sich auf den Weg Richtung High Street machten. Nach kaum hundert Metern hörten sie hinter sich den Laut einer Polizeipfeife, der klar und durchdringend durch die stille Nacht gellte.
»Wir dürfen uns nicht mehr so beeilen«, sagte Mrs Clair. Sie zügelte ihren Schritt, und jetzt gingen sie beide fast langsam dahin, zwei offensichtlich anständige und harmlose Frauen, die sehr wohl den schrillen Laut der Polizeipfeife hinter sich ignorieren durften.
Nur zwei, drei Leute kamen an ihre Haustür bei dem Laut, und Mrs Clair und Marjorie gingen ruhig an ihnen vorüber; jeder Schritt brachte sie der Sicherheit ein Stück näher. Schließlich bogen sie um eine Straßenecke, und dann um noch eine. Jetzt waren sie in der High Street, und eine halbe Sekunde stand Mrs Clair unschlüssig da und verschwendete Zeit auf die Frage, in welche Richtung es nun weitergehen sollte. Ein herannahender Autobus brachte die Entscheidung. Sie hob die Hand, damit er anhielt, und sie stiegen ein.
»Zweimal, bis zur Endstation«, sagte Mrs Clair und gab dem Schaffner einen Shilling aus ihrer Handtasche.
Es war eine lange Fahrt, ganz bis nach Croydon. Fahrgäste stiegen ein und
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