Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
essen konnte keine von ihnen etwas.
»Nun«, sagte Mrs Clair mit einem Blick auf die Uhr. »Jetzt können wir unsere Einkäufe machen.«
Regenmantel und Hut für Marjorie, Lippenstift und Puder, das waren die ersten Dinge, die sie kauften. Marjorie kam sich vor wie in einem Traum, ja wie in einem Albtraum, der so albtraumhaft war, dass sogar das Kaufen eines Hutes zu einer abscheulichen Sache wurde, und umso abscheulicher, als ihre Mutter mit Adleraugen darüber wachte, dass der Hut, den sie kaufte, unauffällig, schlicht und alltäglich war.
»Wir brauchen auch Kleider zum Wechseln«, sagte Mrs Clair nachdenklich. »Und Nachthemden für die Übernachtung heute. Und eine Bürste und einen Kamm.«
Sie bekam langsam Bedenken wegen der Schneisen, die diese Einkäufe in ihre Barschaft schlugen – und die fünfzig Pfund waren ihrem sparsamen Geist wie ein Vermögen erschienen! –, doch sie nahm allen Mut zusammen und machte weiter. Jeder einzelne dieser Einkäufe war notwendig, wenn sie hier als Urlauber durchgehen wollten – und das mussten sie, damit sie nicht gefasst wurden. Sie ließ Marjorie, die die Arme voller Päckchen hatte, draußen auf dem Gehweg warten und ging allein in den Laden hinein, in dem sie einen schäbigen gebrauchten Koffer kaufte; sonst würde der Ladeninhaber sich vielleicht an sie erinnern. Ineiner Seitenstraße hatten sie Gelegenheit, die Päckchen alle in den Koffer zu tun, den sie mit sich durch die Straßen schleppten. Aber in Urlaubsorten war es ja zum Glück nicht ungewöhnlich, Frauen Koffer durch die Straßen tragen zu sehen.
Erschöpft setzten sie sich auf eine öffentliche Bank an einer kleinen Grünfläche.
»Jetzt hör gut zu, was ich dir sage«, begann Mrs Clair; sie hatte sich sorgfältig umgesehen und sich vergewissert, dass niemand sie hören konnte. »Wir müssen unsere Namen ändern. Das ist unerlässlich. Ich glaube, es wäre besser, wenn ich mich Mrs James nenne. Immerhin war ich eine Mrs James Clair, bis dein Vater gestorben ist. Mrs James. Denk daran. Wie willst du heißen?«
»Ich ... ich weiß nicht«, sagte Marjorie.
»Reiß dich zusammen«, sagte Mrs Clair forsch. »Was soll es sein? Mrs Smith? Mrs Jones? Nein, das ist zu gewöhnlich. Mrs Robinson. Ja, das ist es. Mrs ... Mrs Henry Robinson, Vorname ... Adelaide. Mrs Adelaide Robinson, geborene James. Und ich bin deine Mutter, Mrs Frances James. Es wird wohl besser sein, wenn ich auch weiterhin deine Mutter bin, Liebes.«
Mrs Clair verzichtete darauf hinzuzufügen, dass sie sich wohl kaum darauf verlassen könnte, von ihrer Tochter nicht doch versehentlich mal mit »Mutter« angesprochen zu werden, wenn sie in Hörweite Fremder waren.
»Ja«, sagte Marjorie.
»Es nützt nichts, einfach nur ›Ja‹ zu sagen. Du musst es dir ein für alle Mal einprägen«, sagte Mrs Clair.
»Ja.«
Wortlos saßen sie nebeneinander da und sahen zu, wie ander gegenüberliegenden Seite der Grünfläche der Verkehr vorüberfuhr.
»Adelaide«, sagte Mrs Clair plötzlich und erhielt keine Antwort. »Da! Siehst du? Du hast es schon wieder vergessen. Denk daran, dein Name ist Adelaide, und so werde ich dich von nun an immer nennen.«
»Oh, ja, Mutter.«
Marjorie war übel vor Erschöpfung. Sie war nicht im Geringsten schläfrig. Sie hatte nicht den Wunsch, die Augen zu schließen. Sie wollte nur hier sitzen, für immer, und an gar nichts denken.
20
»Hier werden wir es bequem haben, Adelaide«, sagte Mrs Clair und sah sich selbstzufrieden um in dem kleinen Zimmer mit den gerahmten Sprüchen an den Wänden und dem hässlichen Messingbettgestell, das fast den ganzen Raum ausfüllte.
Sie sprach langsam und deutlich, denn sie nahm an, dass die gestrenge Vermieterin draußen vor der Zimmertür stehen geblieben war, um auf ihre ersten Worte zu lauschen. Und sie wollte die Rolle aufrechterhalten, die sie angenommen hatte, als sie hier nach Unterkunft fragten – die Rolle der Witwe, die schon sehr viel bessere Tage gesehen hatte, aber sich immer noch selbstbewusst vornehm gab. Sie nahm den Hut ab und zog ihr Jackett aus, was der Vermieterin Zeit genug geben sollte zu gehen, und schlich sich dann leise zur Zimmertür hinüber und vergewisserte sich, dass keiner dahinterstand.
»Nun sind wir sicher«, sagte sie und ging wieder zu ihrer Tochter zurück. »Leg dich hin und ruh dich ein wenig aus.«
Sie nahmen die Tagesdecke ab, und Marjorie legte sich unter die obere Bettdecke, nachdem sie Rock und Schuhe ausgezogen hatte. Mrs Clair
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