Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
bewusst. All diese Reklameplakate dort drüben:
» J AGD NACH ZWEI F RAUEN«
würden ausreichen, um Zeitungen zu Hunderten und Tausenden zu verkaufen, und das war genau das, was die Presse wollte. Eine Verbrecherjagd war ein Verkaufsschlager, und eine Jagd nach Verbrecherinnen war sogar noch besser. Auch sie wusste – sie war früher ja ganz genauso gewesen –, dass ein guter pikanter Mord half, Zeitungen zu verkaufen. Leute, die am Dienstag einen Artikel über eine junge Ehefrau lasen, die verdächtigt wurde, ihren Mann ermordet zu haben – vor allem eine junge Ehefrau mit einem »auffallend gut aussehenden« Liebhaber –, würden auch am Mittwoch wieder eine Zeitung kaufen in der Hoffnung, mehr darüber zu erfahren. Und eine blutige Affäre, in der eine Axt vorkam, bot natürlich besseren Lesestoff als jeder eiskalte Mord mit Rattengift oder Unkrautvernichter – Mrs Clair bewunderte nun geradezu, wie klug es von der Polizei gewesen war, dieseEinzelheit an die Reporter durchsickern zu lassen und so das Interesse der Öffentlichkeit anzuheizen und sich der Zusammenarbeit der Presse zu versichern.
Die Jagd war mittlerweile in vollem Gang; vielleicht konnte die Polizei sich einfach zurücklehnen und warten, dass die Öffentlichkeit die Arbeit für sie erledigte. Alle, alle Hotelbesitzer, alle Pensionswirtinnen, würden Ausschau halten nach einer neunundfünfzigjährigen Mutter mit einer zweiunddreißigjährigen Tochter, und wenn sie sie fänden, würden sie sie der Polizei mit genauso wenig Mitgefühl für die beiden Frauen übergeben, wie ein Jäger es für den Fuchs empfand oder der Schütze für den Fasan. Teils würde es das Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit befriedigen; teils war es alles nur Teil eines Spiels, und die beiden Frauen hätten genauso gut Tennisbälle sein können. Mrs Clair kochte vor Empörung über die Öffentlichkeit, die sich an Marjories Kummer erfreute, so als wäre es eine Gratisshow; und dann überkam sie wieder die kalte Angst. Es war ja alles schön und gut, dass sie sich selbst versicherte, es müsse überall in England Tausende von Müttern und Töchtern geben, die in Pensionen übernachteten. Einige von ihnen würden vielleicht sogar verdächtigt oder auch verhaftet werden – völlig zu Unrecht. Was ihnen aber kaum etwas ausmachen dürfte, denn nach einer Stunde der Nachforschungen wären sie wieder auf freiem Fuß; nicht, dass Mrs Clair sich um Schwierigkeiten anderer Leute überhaupt groß sorgte. Doch die Möglichkeit, dass Marjorie und sie durch die Neugier und die Wichtigtuerei der Öffentlichkeit verhaftet werden könnten, war etwas, das ihr Sorgen machte. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie diese Zeitung las, hatte sie diese Gefahr nie sonderlich beunruhigt – die meisten ihrer Aktivitäten waren darauf gerichtet gewesen, keine Spur zu hinterlassen, der die Polizei folgen konnte. Der Gedanke war unerträglich,dass all das umsonst gewesen sein sollte; dass die Jagdhunde sich hinlegen und schlafen konnten, bis das Halali eines Arbeiters auf dem Feld ihnen verraten würde, wo der Fuchs war.
Mrs Clairs Zustand gehobener Hellsicht hielt an. Sie sah die Welt als eine unendlich ausgedehnte Fläche bedrohlichen schwarzen Wassers, auf dem ohnmächtig Schiffe dahintrieben. Hier und dort waren Strudel, und manchmal gerieten Schiffe hinein und wurden immer und immer wieder im Kreis gewirbelt und schließlich auf ewig in die Tiefen hinabgezogen. Sie und jene, die sie kannte, waren in die Nähe eines solchen Strudels geraten. Dot war zuerst verschwunden – Mrs Clair seufzte bei dem Gedanken, welche Seelenqual Dot durchlitten haben musste, als sie erfasst und herumgewirbelt wurde. Ted war ihr gefolgt in den klaffenden Schlund. Jetzt war George Ely erfasst worden und kreiste am Abgrund dieses Schlunds – lange würde es nicht mehr dauern, bis auch er, armer Junge, verschwinden würde. Sie selbst und Marjorie begannen eben den Sog zu spüren. Vielleicht würden sie George schon bald folgen. Und außer ihnen würden vielleicht auch noch andere mit hinabgezogen – Derrick und Anne vielleicht.
Als dies Bild vor ihrem geistigen Auge aufstand, waren Mrs Clairs Gedanken völlig unbelastet davon, dass es zum Teil vielleicht ihre Schuld war, dass sie diese Katastrophe vielleicht aus freiem Willen herbeigeführt hatte. Mrs Clair erschien all das vollkommen unvermeidlich, schicksalhaft, vorherbestimmt, und es ist möglich, dass sie recht hatte.
Es war eine widerwärtige Angelegenheit, eine
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