Tödliche Option
Hitze auf den Bahnsteigen der U-Bahn war so intensiv, daß
Lippenstifte in den Kapseln schmolzen. Menschen führten Selbstgespräche, und es
fiel schwer, Gesunde und Verrückte auseinanderzuhalten.
»Tag, Wetzon.« Harold stand in der offenen Tür
seines kleinen Büros und plauderte mit B. B.
»Harold, B. B.« Sie öffnete die Tür zu ihrem
Büro. Die Klimaanlage verrichtete ihre Arbeit hervorragend. Smith war nicht da.
»Irgendwelche Anrufe?«
»Ja.« B. B. reichte ihr zwei Nachrichten: eine von
Smith, die mitteilte, sie werde später kommen, und die andere von Marty Rosen.
Was hatte das zu bedeuten? fragte sie sich.
»Haben wir jemand, der sich Marty Rosen bei Loeb Dawkins vorstellen soll?«
»Nein«, antwortete B. B.
»Du, Harold?«
»Hmhm.«
Sie schloß die Tür und setzte sich an den
Schreibtisch, dann blätterte sie ihr Adreßbuch nach Martys Nummer durch und
rief ihn an.
»Büro Marty
Rosen. Marcia am Apparat.«
»Tag, Marcia. Hier ist Wetzon. Marty wollte mich
sprechen.«
»Bleiben Sie dran.«
»Wetzon!«
»Was liegt an, Marty?«
»Sharon Murphy. Sie ist bei Loeb Dawkins.«
»Sharon Murphy? Sie ist bei Ihnen?«
»Nein. Sie ging in Ron Mitchells Büro.«
»Das glaube ich nicht. Wie ist denn das möglich?
Sie war mit Ihnen im Gespräch. Sie lernte die Abteilungsleiter durch Sie
kennen. Sie hat nie erwähnt, daß sie noch mit einem anderen bei Loeb Dawkins
sprach.«
»Sie können mir glauben. Sie ist hier.«
»Ich werde mit ihr sprechen und rufe Sie dann
gleich wieder an.«
»Moment mal. Sie waren das nicht?«
»Herrgott, Marty, ich schicke Makler doch nicht
zu zwei verschiedenen Managern in derselben Firma, ohne es mit beiden Managern
abzuklären. Wofür halten Sie mich? Antworten Sie darauf nicht.« Er hätte
durchaus sagen können, Sie sind Headhunterin, mit der ganzen Verachtung,
die das Wort manchmal beinhaltete. Vielleicht handelten manche Headhunter wie
Huren, taten unmoralische Dinge, aber sie nicht. Sie legte auf, empört, malte
sich einundzwanzigtausend Dollar aus, die den Bach hinunter waren. Sie rief Ron
Mitchells Büro an und fragte nach Sharon Murphy. Sharon war tatsächlich da,
denn sie stellten sie durch, verdammt. Wetzon war so wütend, daß sie Smith
nicht ins Zimmer kommen sah.
»Sharon Murphy.«
»Sharon, hier ist Wetzon.«
»Ah, Sie sind’s.«
»Ja, was tun Sie in Rons Büro?«
»Nun, er machte mir ein besseres Angebot als
Marty.«
»Das konnte er nicht. Die Abmachungen sind die
gleichen. Haben Sie ihm nicht gesagt, daß Sie mit Marty im Gespräch sind? Es
ist nicht moralisch, den einen Manager gegen den anderen auszuspielen.«
»Ich weiß nicht, warum Sie einen solchen Wirbel
darum machen. Ich bekam dreißig Prozent im voraus von Ron, und Marty sagte mir,
er könne mir nur fünfundzwanzig geben. Das sind siebzehn fünf mehr in meiner
Tasche.«
»Ich weiß nicht, wie Ron das an der
Regionalleitung vorbei vereinbaren konnte. Haben Sie mit einem anderen
Headhunter gearbeitet?« Smith stieß einen seltsam erstickten Laut aus, und
Wetzon schaute auf und nickte ihr zu.
»Ich möchte es lieber nicht sagen. Ron brachte
den Abschluß als Paket mit zwei anderen Maklern, die er einstellte, durch.«
»Lassen Sie mich raten. Es war Tom Keegen, ja?«
Sie sah mit geschürzten Lippen nach Smith, die durch die Zähne zischte.
»Ja.«
»Ja, sagt sie.« Wetzon legte auf. »Du hast es
gehört. Keegen hat uns soeben einundzwanzigtausend Dollar weggenommen.«
Smith schrie auf.
Der Markt ging mit einem Minus von
fünfundsiebzig in die Schlußrunde, und der Abwärtstrend hielt noch an.
Verkaufsprogramme hatten sich zugeschaltet, und es gab immer weniger Käufer. Eine
innere Unruhe machte Wetzon zu schaffen. Sie fühlte sich fix und fertig,
bedrückt von der gnadenlosen Hitze und Luftfeuchtigkeit, deprimiert durch die
Ereignisse der vergangenen Woche. Daß sie Silvestri so gut wie nicht sah,
machte alles noch schlimmer.
David Kim ein Mörder. Konnte sie mit ihrem
Urteil so danebenliegen? Chris Gorham war ja wohl von allen derjenige, der am
ehesten zu Gewalttätigkeit neigte. Nicht David, der intelligente, charmante
David, dem alle Möglichkeiten offenstanden.
Automatisch räumte sie die verstreuten Notizen
und rosa Telefonnachrichtenzettel vom Schreibtisch weg und stellte ihren Plan
für Dienstag auf, nach dem langen Wochenende um den 4. Juli.
»Verdammt noch mal.« Smith knallte den Hörer
auf. »Ich habe es restlos satt, seit vier Monaten Entschuldigungen zu hören.
>Der
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