Tödliche Option
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Na ja, vergiß es. Es ist
vorbei.« Er sackte zusammen, schien zu schrumpfen wie ein Ballon, aus dem
jemand die Luft herausgelassen hatte.
»Geht es um Abby? Das tut mir wirklich leid,
Chris.« Er wirkte enttäuscht. Mitfühlend streckte Wetzon die Hand aus und
berührte seinen sonnengebräunten, muskulösen Unterarm.
»Wer? Ach so. Abby. Richtig.« Er blickte auf
ihre Hand auf seinem Arm. »Kommen Sie, trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es geht nicht. Ich
komme sowieso zu spät.« Er tat ihr leid, aber sie wollte sich nicht in ein
kaputtes Privatleben ziehen lassen.
Die Türen öffneten sich zur Halle, und Chris
stieg aus. Er drehte sich um. »Fahren Sie nicht hinauf, Wetzon.«
»Was reden Sie da? Ich muß.« Sie drückte auf
siebenundsechzig. Der Aufzug verkündete seinen Morgengruß.
»Machen Sie, was Sie wollen.« Er zuckte die
Achseln und kehrte ihr den Rücken, als sich die Türen schlossen.
Was für ein sonderbares Benehmen, dachte die, während sie gähnte und wegen des
Drucks auf den Ohren durch die schnelle Fahrt des Aufzugs den Unterkiefer
kreisen ließ. Irgend etwas an Chris wirkte falsch. Als wäre er verkleidet, ein
Junge, der einen Erwachsenen imitiert.
Sie trat im siebenundsechzigsten Stock aus dem
Aufzug in eine fast totale Stille. Kein Carlton Ash. Niemand. Sie ging an dem
leeren Schreibtisch vorbei in den Empfangsbereich. Sonnenlicht strömte durch
das Oberlicht und malte verwirrende Muster auf die Wände, Teppiche und Möbel.
Es war wunderschön.
»Hallo?« rief sie zaghaft. »Dr. Ash?« Wo hatte
er sie treffen wollen? Sie war sicher, daß er gesagt hatte, vor den Aufzügen.
Sie sah auf die Uhr, Sieben Uhr vierzig. Die Stille und Leere waren unheimlich,
als wäre sie das einzige menschliche Wesen, das auf der Welt übrig war, nachdem
man die Wasserstoffbombe abgeworfen hatte.
Sie schauderte. Was für ein trübseliger Gedanke
an so einem herrlichen Tag. Sie ging auf die Marmortreppe zu. Vielleicht
wartete Ash im Konferenzzimmer auf sie. Drei Stufen vor ihr glitzerte etwas in
der Sonne. Sie bückte sich, um es aus der Nähe zu betrachten. Es war ein
Uhrenkristall, in einem Stück, aber beschädigt. Er war klein und eigenartig
geformt. Eine Damenuhr. Jede konnte sie verloren haben. Zwar gab es nur wenige
Mäklerinnen, aber die Firma war voller Frauen in untergeordneten Positionen.
Sie ging die Treppe hinunter und legte den Kristall auf den Empfangstisch. Dann
stieg Sie langsam wieder hinauf. Ihre Absätze klapperten auf dem Marmor,
ansonsten herrschte absolute Stille. Oben angekommen, rief sie noch einmal:
»Dr. Ash?«
Keine Antwort.
Sie öffnete die Tür zum Konferenzzimmer. Es war
leer. Drei Styroporbecher standen auf dem Konferenztisch. Der Aschenbecher war
voller Zigarettenkippen und Asche. Sie ging in das Zimmer.
Hinter ihr schlug die Tür mit einem Knall zu.
Vor Schreck fuhr sie zusammen und stieß dabei an den Tisch. Kaffee schwappte
aus einem der Becher. Reiß dich zusammen, Wetzon, es war nur die verflixte
Tür, sagte sie sich. Weswegen sollte sie nervös sein? Ein Luftzug kann eine
Tür zufliegen lassen. Sie ging zur Tür zurück und drehte den Knauf, um
aufzumachen. Sie war verschlossen.
Na, das ist ein schönes Willkommen ,
dachte Wetzon, und sie lachte laut. Dann: Das ist nicht komisch, Wetzon. Du
könntest das ganze Wochenende hier sein, und was würdest du essen und wo Pipi
machen?
Das genügte. Sie rüttelte am Türknauf und
trommelte mit der Faust an die Tür. »He! Ich bin eingeschlossen!« Sie rieb ihre
Handkante. »O Scheiße!« schrie sie und machte Rumpelstilzchen mit dem Fuß. Der
Instinkt sagte ihr, daß das Zimmer vermutlich schalldicht war. »Himmel, Arsch
und Wolkenbruch!« Sie stampfte um den Konferenztisch herum und feixte über den
verschütteten Kaffee. »Und ich wisch auch nicht auf.«
Sie zog einen Stuhl vor und setzte sich. Sie sah
zu dem großen Fleck an der Wand hoch, wo Goldies Porträt gehangen hatte, dann
ließ sie rasch den Blick durch das Zimmer wandern und suchte nach einem
Ausgang, den sie möglicherweise übersehen hatte. Zwölf Stühle standen um den
Konferenztisch, drei standen schief. Die Anrichte... Idiot, dachte sie — das Telefon. Sie sprang auf, lief auf die andere Seite des Tisches und schnappte
das Telefon von der Anrichte. Sie bekam das Freizeichen, wählte die Auskunft
mit der 411 — sie würde einfach die Nummer des Gebäudes anrufen, und sie
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