Tödliche Option
Er hatte eine Leinentischdecke in der Hand, die er aufschüttelte und
über Dr. Carlton Ash fallen ließ. Ash war abgehakt.
Es beunruhigt sie nicht einmal, daß er tot ist, dachte Wetzon. »Wo ist Ellie?«
»In ihrem Büro vermutlich.« Neils Sonnenbräune
hatte einen Anflug von Grau. Er trug unter seinem Sporthemd eine Goldkette um
den Hals.
»Neil, was ist eigentlich mit der Studie, an der
er gearbeitet hat?«
»Was soll damit sein?«
»Sie wissen schon. Sie sollte streng geheim
sein.«
»Sie ist, Wetzon. Er war gerade damit fertig
geworden.«
Neil sah elend aus. Er schien als einziger von
Carlton Ashs Tod betroffen, vielleicht abgesehen von Ellie.
»Wo ist sie dann, Neil? Haben Sie sie gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Er...«
Drei Börsenmakler eilten über den Flur. Sie
platzten vor Neugier. »Tag, Wetzon«, grüßte einer. Juggy Greenfield. Wetzon
hatte ihn letztes Jahr bei Luwisher Brothers untergebracht.
»Was ist hier los? Ellie hat uns gerade gesagt,
daß jemand einen Kopfsprung die Treppe runter gemacht hat.«
»Das stimmt. Am besten bleiben Sie aus dem Weg,
bis ein Arzt da ist.«
»Ach so, klar.« Trotzdem eilten Juggy und seine Kumpane
weiter auf den Empfangsbereich zu. Wetzon kümmerte sich nicht darum, sondern
ging zum Board-room und den umliegenden Büros.
Der Boardroom war leer, ein Meer von L-förmigen
Schreibtischen, die Quotron-Geräte unheimlich still. Sie hörte leise Stimmen
murmeln, als sie an David Kims Büro vorbeikam. Es war plausibel, daß auch David
arbeitete, wenn Ellie das tat. Sie kam an der geschlossenen Tür von Ellies Büro
vorbei und hörte jemanden reden. Ellie konnte warten.
Die Tür zum letzten Büro auf dieser Etage war
fest geschlossen. Kein Laut drang heraus. Das mußte das Büro sein, das Carlton
Ash benutzt hatte. Wetzon öffnete beherzt die Tür und trat ein — dann wich sie
unwillkürlich vor Schreck einen Schritt zurück.
Carlton Ashs Büro war demoliert worden.
Sie bewegte sich langsam in das kleine
Büro, weil sie dachte, es könnte jemand hinter der Tür stehen. Nein. Es war
kein Mensch da. Schubladen hingen offen heraus, Papiere lagen durcheinander auf
Haufen, Bücher waren aus den Regalen gerissen. Der Papierkorb war auf den
Schreibtisch gekippt worden und lag verkehrt herum darauf. Das einzige Geräusch
kam vom Computer. Ein Tornado war durch das Zimmer gebraust, aber es war
sowieso nicht besonders wichtig, denn der frühere Benutzer war tot, und das
war’s. Auf diese Weise endet die Welt, auf diese Weise endet die Welt. T. S. Eliots Worte kamen ihr in den Sinn. Nicht mit einem Knall, sondern mit
einem Winseln.
Ein Winseln. Sie konnte es hören. Es kam aus dem
Computer. Jemand hatte ihn eingeschaltet gelassen. Derjenige, der das Zimmer
demoliert hatte — oder Dr. Ash? Sie ging um den Schreibtisch herum und starrte
auf den Bildschirm. Er war leer. Der Computer gab einen Pfeifton von sich, der
den Atemgeräuschen von Dr. Ash nicht unähnlich war. Als sie ein W für Wetzon
eingab, erschien ein verrückter Salat aus Buchstaben und Zahlen, als hätte er
einen Nervenzusammenbruch.
Auf dem Schreibtisch lag Carlton Ashs weiche
Ledermappe, kaputt, mit aufgerissener Naht. Sie hob die zerrissene Klappe mit
dem Fingernagel an. Nichts. Was auch immer daringewesen war — zweifellos der
geheimnisvolle Bericht, an dem er gearbeitet hatte — , es war verschwunden.
Sie starrte aus dem Fenster. Der Nebelschleier
hatte sich verzogen, und die Aussicht auf die Statue und die Schiffe war so
scharf und leuchtend, als wäre sie auf Glas gemalt.
Was mochte in dem Bericht stehen, das jemanden
veranlassen konnte, dafür zu töten? Doch halt. Nicht so schnell. War Ash
ermordet worden? Und falls ja, war der Grund, daß er etwas über Goldies Tod
wußte?
Sie angelte in ihrer Handtasche nach dem
Federhalter und benutzte ihn, um kauernd die auf dem Boden verstreuten Papiere
durchzusehen. Nichts, was auch nur entfernt wie Seiten eines Berichts aussah.
Dann stand sie auf und untersuchte die herausgezogenen Schubladen. Nichts außer
dem üblichen Büromaterial. Heftmaschine, Tesaabroller, eine Dose Heftklammern,
Bleistifte. Eine Schublade hatte eine Hängevorrichtung für Akten, es hingen
auch Ordner drin, die allerdings leer waren. Sie ging sie durch, um sich zu
vergewissern, und benutzte dazu die Spitze des ungeöffneten Federhalters. Wer
auch immer das getan hatte, er war jedenfalls gründlich gewesen. Sie seufzte
und steckte den Kuli wieder in die
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