Tödliche Option
Handtasche.
Eine Reihe hoher Bücherregale nahm die schmale
Wand neben der Tür ein, doch die Bücher lagen auf dem Boden, hingeworfen wie
Stoffpuppen. Einige Buchrücken waren geknickt. Sie wühlte sich durch den
Trümmerhaufen. Sie erkannte das rote Verzeichnis der Effektenhändler
Nordamerikas von Standard & Poor mit zerfledderten Seiten, das grüne
Jahrbuch der Wertpapierbranche, dessen Einband zerfetzt war, und mehrere andere
Nachschlagewerke, die sich alle mit rechtlichen Problemen auf den
Wertpapiermärkten befaßten. Ein Wörterbuch in Fetzen. Ein Buch über
Börsengeschäfte, zwei Bücher über Optionen, ein halbes Dutzend oder mehr Bücher
über Aktienrecht. Ihr schauderte. Zerstörte Bücher waren wie Leichen. Das war
ein Unglückszimmer. Beide früheren Bewohner waren tot.
Silvestri, dachte sie. Er sollte darüber Bescheid wissen, auch wenn es
nicht sein Revier ist. Sie würde kein Vertrauensverhältnis zu einem Kunden
brechen, weil er es ohnehin bald erfahren würde.
Sie schlenderte aus Dr. Ashs Büro, an den
geschlossenen Türen vorbei zum Boardroom, und winkte Juggy Greenfield und
seinen Freunden ungezwungen zu. Sie lachten schallend, als ob einer gerade
einen Witz erzählt hätte. Die denkbar schlimmsten Situationen beschworen den
schwarzen Humor der Wall Street herauf.
Sie setzte sich an den ersten besten
Schreibtisch mit Telefon und rief Silvestri an. Man konnte ohne weiteres nach
draußen telefonieren. Silvestri und Metzger Waren nicht erreichbar, und sie
mußte mit Mo Ryan vorliebnehmen.
»Richten Sie ihm bitte aus, daß ich bei Luwisher
Brothers bin«, sagte Wetzon ihr. »Es hat hier einen Unfall gegeben. Dr. Carl
ton Ash ist tot.« Sie gab Mo Ryan die Adresse und legte mitten in Mos Antwort
auf. Ihre Hände zitterten.
Sie ging zurück zu Ellies Büro. Drinnen hörte
sie Ellie mit jemandem sprechen. Wetzon klopfte und öffnete die Tür. Im Zimmer
roch es nach Alkohol.
Ellie war allein und telefonierte. Sie nickte
Wetzon zu, sagte ins Telefon: »Muß Schluß machen«, und legte auf. Sie trug eine
graue Leinenhose und eine weiße Wickelbluse aus Seide mit tiefem V-Ausschnitt.
Ein goldenes kugelförmiges Amulett baumelte an einer langen Gliederkette um
ihren Hals. »Entsetzlich, nicht?« Sie deutete auf die offene Flasche Jack
Daniel’s auf dem Tisch. »Möchten Sie einen Schluck?«
»Nein, danke«, lehnte Wetzon ab. »Zu früh für
mich.« Aber es war verlockend. Im Büro war es eiskalt. Sie spürte die Gänsehaut
an den Armen unter dem Jackenärmel. Sie setzte sich vor Ellies Schreibtisch,
auf ihre kalten Hände, damit sie stillhielten.
Ellie goß eine großzügige Portion Whiskey in
einen bräunlichen Kaffeebecher mit der Aufschrift Eine Frau ist der bessere
Geschäftsmann und trank den größten Teil davon. »Ich habe ihnen gesagt, sie
sollen einen Teppich auf diese verdammte Treppe legen und ein anderes Geländer
anbringen, aber nein, auf mich hört ja keiner. Sie wissen immer alles besser.«
Sie leerte die Tasse und schenkte nach. »Wenn das fette Schwein Frau und Kinder
hat, werden diese das letzte aus uns herausklagen.«
»Ein Unfall? Sie glauben, es war ein Unfall?«
»Ja, natürlich, Wetzon. Was denn sonst? Ich habe
es gerade David erzählt...« Sie deutete auf das Telefon.
»David hat Sie angerufen?«
»Ja. Warum?«
»Von seinem Büro?«
Ellie runzelte die Stirn und strich das Haar
hinter die Ohren. »Nein, er ist nicht hier. Ich habe gerade am Telefon mit ihm
gesprochen. Er hilft samstags immer seinen Eltern. Er war...« Sie starrte mit
abgespanntem Gesicht das Telefon an.
»Ich habe jemand in seinem Büro gehört. Ich
dachte, es wäre David.«
Ellie schüttelte energisch den Kopf, so daß ihr
Haar wie ein grauer Satinvorhang nach vorne fiel. »Nein. Das kann nicht sein.«
Sie stand plötzlich auf, nahm den Becher und ging aus dem Zimmer. »Kommen Sie mit,
Wetzon.« Wetzon folgte ihr in David Kims Büro. Ellie drehte sich nach Wetzon um
und machte mit dem Becher eine ausholende Bewegung. »Sehen Sie, er ist nicht
hier.«
Das Büro war geschmackvoll eingerichtet,
funktional und hübsch. Ein offener schwarzer Diplomatenkoffer stand unter dem
Schreibtisch. »Aber seine Aktentasche.«
»Ach, die läßt er oft hier. Glauben Sie mir,
Wetzon, Sie haben sich geirrt.« Ellie tätschelte die Lehne von Davids Stuhl in
Gedanken, fast geistesabwesend. Dennoch hatte die Geste unmißverständlich etwas
Besitzergreifendes.
Wetzon nickte. »Ich muß mich verhört
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