Tödliche Option
jemand in der Leitung?«
»Wie kommst du darauf?« Wetzon betrachtete das
Telefon. Drei Lämpchen waren an, blinkten aber nicht. »Nur du und ich, Schatz«,
imitierte sie Bogart.
»Ich habe keine Zeit für deine Späße, Wetzon.
Ich bin herumgerannt, um in dieser Stadt ein funktionierendes Telefon zu finden.
Du glaubst nicht, was ich gesehen habe. Ich kann’s nicht glauben.«
»Was hast du denn gesehen? Sag es bitte und
erlöse mich von meiner Qual.«
»Für dich ist alles Spaß, Wetzon, aber das wirst
du nicht komisch finden, so wenig wie ich.«
»Oh, Mann, Smith — was ?«
»Ich war so empört, daß ich mich erst einmal ins Yellow Finger setzen und eine Limonade trinken mußte, um mich zu
beruhigen.«
»Smith, ich bringe dich eigenhändig um, wenn
du’s mir nicht endlich sagst.«
»Wer ist dieser widerliche Schleimscheißer —
unser größter Konkurrent?«
»Tom Keegen.«
»So, Wetzon, jetzt rate mal, wen ich vor weniger
als einer halben Stunde tete-à-tete mit diesem Ekel gesehen habe?«
»Ich gebe auf. Wen?«
»Unseren kostbaren Harold.«
Die Eingangshalle des Berkshire war
unkonventionell, aber nicht protzig. An der Rückseite, einige Treppenstufen
tiefer, gab es einen gemütlichen offenen, mit Teppichen ausgelegten Bereich mit
bequemen Sesseln, Sofas und Kaffeetischen mit Marmorplatten, die zu kleinen
Sitzgruppen angeordnet waren. Hier konnte man Tee und Kuchen, Kaffee und Drinks
bestellen. Es war eine wohltuende Insel in der Hetze und dem Trubel der Stadt.
Sie entdeckte David Kim sofort, weil er auf und
ab schritt, mit wildem Blick, anscheinend ohne zu merken, daß er auf die
ankommenden und abreisenden Hotelgäste ein wenig verrückt wirken mußte. Sie
machten einen großen Bogen um ihn. Er paßte nicht zu dem Stereotyp des
unerschütterlichen Asiaten. Ein schlanker, etwas pedantischer Portier in
mittelbraunem Anzug steuerte gerade auf ihn zu, als David Wetzon entdeckte,
stehenblieb und wartete, bis sie zu ihm kam.
Sie begrüßten sich, und Wetzon führte ihn in den
hinteren Bereich der Halle, wo er sich auf ein Zweiersofa warf, während sie den
Lous-seize-Stuhl neben der Harfe nahm.
Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug und ein
weißes Hemd, trotz der Hitze kaum zerknittert, bemerkte Wetzon. Sein Haar war
eine Spur zu lang für die Wall Street und fiel ihm über die Stirn auf die
dunklen Brauen. Mit einer ungeduldigen jungenhaften Geste strich er es zurück.
Er sah ein wenig wie Rob Lowe aus, wenn man sich diesen als Koreaner
vorstellte. Alles in allem ein Charmeur, besonders, wenn er lächelte, was er in
diesem Augenblick tat.
Wetzon fand ihn sehr sympathisch, noch genauso
wie vor fast zwei Jahren, als er auf seinen Lebenslauf gleich einen Anruf
folgen ließ und sie überredete, sich mit ihm zu treffen, obwohl sie ihm
versicherte, sie könne nichts für ihn tun, weil er nicht die richtige
Fachrichtung hatte. Er war Doktorand in Mathematik an der Columbia.
»Ich möchte der erste Amerikaner asiatischer
Abstammung sein, der eine Börsenmaklerfirma leitet«, hatte er gesagt.
»Sie kommen zu spät, Gerald Tsi hat es schon vor
Ihnen geschafft.«
»Er ist Chinese, und außerdem hat es bei Smith
Barney nicht so gut geklappt, so daß er schließlich an Sandy Weill verkaufen
mußte. Ich möchte Sandy Weill sein.« Seine schwarzen Augen waren ernst, aber er
war schlagfertig und geistreich. Wetzon hatte ihn von Anfang an gemocht.
Er suchte einen Ferienjob für den Sommer, etwas,
das er zum Beruf ausbauen könnte, sobald er seinen Doktor hätte. Wetzon
erklärte, daß Smith & Wetzon nicht nur keine Anfängerstellen
vermittelten, sondern sich erst recht nicht mit Sommerjobs befaßten. Aber David
bot seinen ganzen Charme auf und rang ihr ein Versprechen ab, an ihn zu denken,
falls sie bei einem Kunden etwas hören sollte. Zufällig hatte sie dann auch nur
zwei Wochen später von Doug Culver gehört, daß Luwisher Brothers vorübergehend
einen Verkaufsassistenten für Ellie Kaplan suchte, und Wetzon schlug David Kim
vor. Aus dem befristeten Job war eine feste Stelle geworden, und alle hatten
von der Empfehlung profitiert — außer Smith & Wetzon, weil kein
Honorar gezahlt wurde.
Wetzon strich es gern als uneigennützige Tat
heraus — eine Gefälligkeit oder so. Irgendwann würde es sich durch Empfehlungen
und nützliche Kontakte auszahlen. Smith reagierte dagegen sehr ungehalten. »Wir
können unsere Miete nicht bezahlen, wenn wir umsonst arbeiten«, hatte sie
gemeckert.
Wetzon
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