Tödliche Option
kommst mit zum Essen.« Sie drehte sich
um und machte Anstalten zu gehen.
Wetzon legte eine Hand auf Ellies Stirn und hob
ihren Kopf, um ihn an das Kissen zu lehnen. Ellies Kopf fiel eigenartig auf die
Seite, als hätte ihr Hals keine Wirbel. Vorsichtig strich Wetzon das wirre
dicke Haar aus Ellies Gesicht. »O, Gott!« Wetzon sprang zurück, fuchtelte mit
den Armen, stieß gegen den Baumstamm und hielt sich fest.
Das Mondlicht schimmerte wie ein Spotlight
herunter und beleuchtete Ellies Gesicht. Ihre Augen waren offen, vorquellend
und starrend. Wetzons Knie gaben nach; der Boden schwankte.
»Smith!« Der beißende Uringeruch war
überwältigend.
Smith, die gerade die Tür zum Wohnzimmer
erreicht hatte, kam zurückgerannt. »Was ist los?«
Wetzon deutete auf den Liegestuhl. Ellies Kinn
war schlaff, der Mund offen, die Zunge herausgestreckt, das Gesicht verzerrt
und aufgedunsen. Geplatzte Äderchen überzogen wie Spinnweben die Augen, die
Zunge und die Wangen. Am Hals waren dunkle Druckstellen.
»Ist sie tot?« Smith’ Gesicht war aschfahl in
dem kalten Licht.
»Ich glaube.« Wetzon schmeckte den bitteren
Kaffee in der Kehle. Sie rieb sich den Hals, als wäre sie diejenige mit den
Würgemalen.
»Mir wird schlecht«, sagte Smith mit schwacher
Stimme. Sie preßte die Hand vor den Mund, rührte sich aber nicht von der
Stelle.
»Wir müssen die 911 rufen. Ich glaube, sie ist erwürgt
worden.« Wetzon wandte das Gesicht ab.
»Du wirst ja ganz grün«, sagte Smith. »Die
Browns lassen uns rein — komm schon.«
»Nein.« Wetzon schüttelte den Kopf. »Geh du. Ich
bleibe hier... nur für den Fall.« Nur für den Fall, was? fragte sie
sich. Sie riß sich von dem Baum los. »Ich schließe hinter dir ab.«
»Wer kann das getan haben?« flüsterte Smith, als
sie in die Wohnung zurückgingen. Wetzon schloß die Tür, zog aber nicht die
Vorhänge davor. Dann brachte sie Smith zum Eingang. »Ich bin gleich wieder da«,
sagte Smith. »Bleib du nur hier.«
»Sag der 911, sie sollen Silvestri beim Midtown
North benachrichtigen.«
»Midtown North.« Smith nickte steif. Ihre Augen
waren glasig.
Wetzon schloß ab, nachdem Smith gegangen war.
Dann warf sie den Riemen der Umhängetasche über die Schulter, atmete tief durch
und ging wieder in den Garten. Das Mondlicht warf lange Schatten von den
Sandsteinhäusern der Umgebung und den Hochhäusern im Süden bei den Lincoln
Towers, ein Filmeffekt, als habe Fritz Lang Regie geführt.
Irgendwo in der Nähe ging die Alarmanlage eines
Autos los, und das anhaltende Jaulen zerschnitt die Stille. Die Menschen
hielten sich drinnen auf, versteckten sich in klimatisierten Räumen,
verbarrikadierten sich gegen die Hitze der Straßen und gegen ihre Mitmenschen.
Niemand drinnen konnte den Alarm durch das Brummen der Klimaanlagen hören. Es
schien alles so vergeblich. Tränen liefen über Wetzons Wangen. Arme Ellie. Sie
schien kaum die Frau zu sein, die einen Fremden in ihre Wohnung ließ, doch sie
hatte getrunken und möglicherweise vergessen abzuschließen, was man in New York
sonst nicht mehr zu tun wagte. Oder es konnte jemand gewesen sein, den sie
kannte. Wetzon blieb am Fischteich stehen. Eine leere Blechdose trieb an der
Oberfläche, zusammen mit — sie zählte sieben toten Goldfische unterschiedlicher
Größe und Färbung. Hatte jemand Ellie überfallen, während sie die Fische
fütterte, so daß sie den ganzen Futterbehälter in den Teich hatte fallen
lassen?
Sie war nicht so dumm, irgend etwas an einem
Tatort anzufassen. Auf eine leere Seite, die sie aus ihrem Ringbuch riß,
schrieb sie Fischteich — Fischfutter, dann Nachrichten auf
Anrufbeantworter. Sie würde Silvestri davon berichten.
Indem sie ihren ganzen Mut zusammennahm,
betrachtete sie Ellie genauer. Es war entsetzlich. Und schlimmer noch, es lag
etwas Surreales über der Szene, beinahe als wäre sie kunstvoll geschaffen
worden. Ellie lag da wie eine Komposition, mit einer Rose in einer Hand. Doch
bei genauerer Prüfung sah man, daß sie die Rose gar nicht hielt, obwohl sie die
Hand zusammenpreßte. Jemand hatte die Rose hingelegt; jemand hatte Ellie auf
den Liegestuhl gelagert, nachdem er sie woanders erwürgt hatte. Am Fischteich
vielleicht. Sachte, sachte, Wetzon, dachte sie. Du kannst das auf
nichts stützen, außer auf ein Gefühl im Bauch.
Wetzon berührte den Frotteebademantel an Ellies
Schulter. Er war klamm, klammer als in einer heißen Sommernacht zu erwarten
war. Ihr schauderte, und sie preßte die
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