Tödliche Option
Smith
legte den Arm um Melissa und nickte Wetzon aufmunternd zu. Sie standen verlegen
vor dem Eingang zum Wohnzimmer. Melissas Blick wanderte an ihnen vorbei zu den
aufgezogenen Vorhängen.
Es läutete wieder.
»Melissa«, sagte Wetzon, die das Gefühl hatte,
das Mädchen oder ein Bild von ihm irgendwo schon einmal gesehen zu haben.
»Deine Mutter hatte einen Unfall.«
Das Mädchen wurde blaß. »Wo ist sie? Wie geht es
ihr?«
»Halt dich an mir fest, mein Schatz«, sagte
Smith mit ungewohnter Zärtlichkeit. Sie steuerte Melissa zum Sofa und setzte
sich mit ihr hin.
Jetzt hämmerte es gegen die Tür. »Polizei.
Machen Sie auf.«
Wetzon rannte durch den Flur und wäre beinahe
über die große Segeltuchtasche und den Lederrucksack bei der Tür gestolpert.
»Einen Moment, ich komme«, rief sie und riß die Tür auf.
Ein uniformierter Polizist — klein, dick und
schwitzend — stand im Vorraum, zwei Sanitäter hinter ihm. Auf der Straße
draußen wetteiferten das Drehlicht des Streifenwagens und das Blinklicht der
Ambulanz miteinander. Sein Blick registrierte ihr wirres Haar, die verquollenen
Augen, das verbundene Knie. »Sie sind Ms. Smith?« Ein Schnauzer bedeckte seine
Oberlippe; auf seinem Namensschild stand Kalish.
»Ich bin Leslie Wetzon. Ms. Smith ist drinnen
bei Ellie Kaplans Tochter.« Wetzon kickte das Gepäck aus dem Weg und trat an
die Seite, um sie einzulassen.
Lautes Weinen kam aus dem Wohnzimmer, und als
Wetzon den Männern durch den Flur folgte, sah sie, daß Melissa in den Garten
laufen wollte, während Smith versuchte, sie zum Sofa zu ziehen.
»Bitte Zurückbleiben«, sagte Kalish streng. »Du
möchtest bestimmt nicht dort draußen sein. Überlaß das lieber den Sanitätern.
Sie kennen sich da aus.«
Melissa gab nach, und Smith brachte sie zum Sofa
zurück.
Eine schlaksige Polizistin erschien, die dunkle
Haut glänzend vor Schweiß. Sie setzte die Mütze ab, wischte sich mit einem
großen weißen Taschentuch übers Gesicht und sah sich verwirrt um.
»Sie sind draußen«, erklärte Wetzon, die an den
Fenstern stand. »Im Garten.«
Die Polizistin setzte die Mütze wieder auf und
ging hinaus.
Wie benommen saß Melissa kerzengerade da, die
Hände verkrampft auf dem Schoß. Smith sah elend aus.
Wetzon wußte, daß es im Haus bald wimmeln würde
von Detectives, Technikern und medizinischen Spezialisten, ganz zu schweigen
von jemandem von der Staatsanwaltschaft. Das war kein Ort für ein Kind.
Kurz darauf kamen die Sanitäter wieder ins
Wohnzimmer und verließen die Wohnung. Keiner konnte mehr etwas für Ellie tun.
Die Polizistin trat ins Wohnzimmer und schloß
die Tür zum Garten. »Wo ist das Telefon?« Auf ihrem Namensschild stand Andrews.
»In der Küche, aber das Kabel ist
durchgeschnitten«, sagte Wetzon.
Andrews zuckte die Achseln und stapfte durch den
Flur nach draußen.
Melissa lag völlig aufgelöst in Smith’ Armen,
und Smith selbst wirkte ziemlich mitgenommen. Das hat sie nun von der Freude
dabeizusein, dachte Wetzon. Aufgeregt ging sie durch den Flur und stellte
sich an die Haustür. Die Sirene des Notarztwagens zerschnitt kurz die Luft,
während der Wagen davonfuhr, dann herrschte Stille, die nur ab und zu durch
Störgeräusche aus dem Funkgerät des Streifenwagens unterbrochen wurde. Eine
kleine neugierige Gruppe hatte sich versammelt. Ein weiterer Streifenwagen fuhr
an der Stelle vor, wo eben noch die Ambulanz gehalten hatte, und ein Polizist
begann konzentriert, eine Absperrung vor dem Eingang aufzustellen und gelbes
Band darum zu spannen. Dabei summte er falsch vor sich hin.
Schwitzend und gleichzeitig fröstelnd preßte
Wetzon die Stirn gegen den kühlen Türpfosten. Ellies Tochter. Warum hatte sie
nie erwähnt...?
Ein neutrales Auto traf ein, und zwei Detectives
stiegen aus. Sie blieben stehen, um mit Andrews zu reden, die im Streifenwagen
saß und in das Funkgerät sprach. Ein zweites Auto spie Techniker und Ausrüstung
aus. Ein dritter Wagen fuhr mit quietschenden Reifen vor, und vorn stiegen
Silvestri und Weiss aus, Metzger vom Rücksitz.
Wetzon trat auf die Seite und ließ sie alle
vorbeiziehen. Silvestri als letzten. »Warum trifft man Sie immer am Tatort an,
gnädige Frau?« fragte Silvestri über die Schulter.
»Das ist wohl eine rhetorische Frage?«
»Weshalb hast du den Verband?« Diesmal machte er
sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, sondern ging einfach weiter.
Sie holte ihn ein. »Nichts weiter — ein Kratzer.
Silvestri, es war entsetzlich.« Ihr
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