Tödliche Option
Lippen fest aufeinander, rannte ins
Wohnzimmer, schlug die Tür zu und lehnte sich keuchend dagegen. Sie würde sich
nicht an den Tod gewöhnen, solange sie lebte... Ein hysterisches Lachen stieg
in Wetzon hoch. Sie sank auf den Boden.
Es läutete an der Haustür. Zweimal, Dreimal.
Eindringlich. Dann Klopfen.
Wetzon rappelte sich auf und ließ Smith herein.
»Sie waren nicht zu Hause«, beklagte sich Smith.
»Ich wußte von einer Telefonzelle aus telefonieren.« Smith sah ein wenig
zerzaust aus. »Ich kann nicht glauben, daß ich in so was hineingezogen werde.«
Ein erfreuter Unterton schwang in dieser letzten Bemerkung mit. »Ich bin froh,
daß du drinnen geblieben bist.«
»Was hast du denen gesagt?«
»Ich sagte, es sei jemand ermordet worden, und
sie sollten den italienischen Prinzen benachrichtigen.«
»Wehe dir!« Wetzon starrte Smith empört an, dann
mußte sie lachen. »Du bist schrecklich.«
»Du bist nicht die einzige mit Sinn für Humor.«
Smith packte Wetzon an den Schultern und schüttelte sie ein wenig. »Ich habe es
nicht gesagt, aber ich hätte große Lust gehabt.« Sie betrachtete Wetzon. »Du
bist totenbleich. Wir können beide noch eine Tasse Kaffee gebrauchen.«
Wetzons Kopf dröhnte. Ihr Gesicht kam ihr steif
vor, wo das Salz der Tränen angetrocknet war, und ein nagender Schmerz, halb
Übelkeit, halb Hunger, zerrte an ihrem Magen.
Smith zog einen Beutel mit Brezeln aus der
Speisekammer, riß ihn auf und hielt ihn Wetzon hin. »Ellie kann nichts mehr
dagegen haben«, sagte sie, während sie in einen Schrank griff und zwei
Kaffeebecher herausholte.
Sie saßen am Küchentisch wie zwei Zombies, völlig
verausgabt.
»Wie lange, meinst du, werden sie brauchen?«
fragte Wetzon. Sie fing einen Tropfen Kaffee an der Seite des Bechers mit dem
Finger auf, bevor er auf den Tisch fiel.
»Du kennst diese Stadt so gut wie ich.«
Sie hörten das Geräusch im selben Augenblick.
Ihre Köpfe fuhren auf, die Blicke trafen sich, die Augen wurden groß. Wetzon
stellte ganz leise den Becher ab, legte einen Finger an die Lippen und stand
auf. Da war das Geräusch wieder.
»Was war das?« flüsterte Smith mit rauher
Stimme.
»Schsch.« Wetzon schüttelte energisch den Kopf.
Das war es wieder. Ein klapperndes Geräusch, als
mache sich jemand an der Haustür zu schaffen.
Sie drehte sich zu Smith um, die hinter sie
getreten war und ihren Arm mit kalten Fingern umklammerte. Das Geräusch brach
ab. Sie atmeten beide auf und fielen sich kichernd in die Arme. »Wir sind
blöd«, flüsterte Wetzon.
Doch da war es wieder — nur anders.
Jemand schloß die Haustür auf — schloß auf. Wetzon schlicht auf Zehenspitzen aus dem Wohnzimmer, Smith an ihren Fersen, kaum
atmend.
Wer war das mit einem Schlüssel? Bestimmt nicht
der Notarztwagen oder die Polizei. Jemand wie David Kim? Der Mörder, der an den
Schauplatz des Verbrechens zurückkehrt? Wer?
Smith’ kalte Hand umklammerte ihre. Ein dumpfer
Schlag von etwas Schwerem, das fallen gelassen wird. Dann ein Ausruf: »Hallo,
Mom, ich bin da.«
Smith ließ Wetzons Hand los, und Wetzons
erster Gedanke war, was macht Mark hier? Aber das war nicht Mark. Sie
schüttelte den Kopf. Ellie hatte eine Tochter.
»Mom?« Flinke Schritte kamen näher.
Sag es ihr, sag es ihr. Wetzon zwang sich, an die Tür zu gehen. »Hab bitte
keine Angst«, sagte sie. Die Gestalt vor ihr blieb stehen. »Wir sind
Freundinnen deiner Mutter...« Sie zeigte auf Smith.
Ein Mädchen von etwa elf oder zwölf Jahren kam
ins Zimmer, das Gesicht verblüfft verzogen, das lange rote Haar gewollt wild
und ungekämmt, wie es gerade in Mode war. »Wo ist meine Mutter?« fragte sie,
während sie sich umsah.
Wetzon wechselte besorgte Blicke mit Smith, die
sagte: »Ich bin Xenia, und das ist Leslie.«
»Ich bin Melissa.«
»Tja, Melissa...« Wetzon kam nicht weiter. Sie
spürte einen dicken Kloß im Hals.
»Komm, setz dich, Melissa«, mischte Smith sich
ein. »Du bist eine kleine Überraschung.«
»Ich weiß.« Mit einer Geste, die an Ellie
erinnerte, strich sich Melissa das Haar aus dem Gesicht. »Ich wollte erst
morgen nach Hause kommen, aber dann hat mich jemand im Auto mitgenommen.« Sie
trug glänzende, enganliegende blaue Shorts, die am halben Oberschenkel endeten,
rote knöchellange Reeboks und ein abgeschnittenes Baumwollhemd, das eine magere
Schulter frei ließ. Lolita.
Die Türglocke läutete.
»O, Mann,« stöhnte Smith. Sie sah Wetzon an.
»Melissa... mein Gott.« Wetzon schluckte.
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