Tödliche Saturnalien
genug gab.
»Nein«, wiederholte er. »Es war der letzte Monat des Jahres, in dem die Amtsgeschäfte noch in vollem Gange waren, und die Gerichte waren extrem überlastet. Für eine tote Frau aus den Bergen hat sich kein Mensch interessiert.«
»Und trotzdem wird der Bericht vermißt«, entgegnete ich.
»Dann ist er falsch abgelegt worden«, meinte Murena, »das passiert häufig im Tempel. Oder ein Sklave hat den falschen Bericht mitgenommen, was mindestens ebensooft vorkommt.«
»Mag sein. Könntest du mir die wesentlichen Punkte des Berichts noch einmal mündlich zusammenfassen? Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit dem Mord, den ich untersuche, und vielleicht stoßen wir auch auf den Grund für sein Verschwinden.«
»Schlamperei braucht keinen speziellen Grund, Senator Metellus«, bemerkte er.
»Gut gesagt. Wenn du mir trotzdem den Gefallen tun würdest …«
»Also gut. Laß mich überlegen …« Er konzentrierte sich einen Moment. »Das Ganze geschah vor einigen Wochen, und der Vorfall war eine banale Routinesache, also vergib mir, wenn mein Gedächtnis es an der gewohnten Schärfe fehlen läßt.«
»Durchaus verständlich. Es war schließlich nur ein Mord.« Diese Einschätzung war damals in Rom gang und gäbe, zumindest wenn es sich bei dem Opfer um eine Person ohne Bedeutung handelte. In diesem Moment konnte auch ich wenig Trauer über Harmodias Tod empfinden. Sie hatte mit Giften gehandelt. Ariston war ein ähnlich verabscheuungswürdiger Charakter gewesen. So weit es mich betraf, waren die Morde an ihnen nur ein Hindernis bei meiner Ermittlung. Und genau das sollten sie auch sein …
»Die Tat wurde von einem gewissen Urgulus gemeldet …«, begann Murena.
»Ich habe mit ihm gesprochen«, unterbrach ich ihn.
»Dann weißt du auch über die Umstände Bescheid, unter denen sie gefunden und ich gerufen wurde. Ich ging zum Circus Flaminius und fand inmitten einer Blutlache die Leiche einer recht kräftigen Frau Ende Dreißig, Anfang Vierzig. Todesursache war eine tiefe Schnittwunde am Hals, die den Kopf fast abgetrennt hatte. Eine Befragung ergab, daß niemand die Tat beobachtet hatte, die sich, nach dem Zustand der Leiche zu urteilen, mehrere Stunden zuvor ereignet haben mußte.«
»Wies die Leiche noch irgendwelche anderen Verletzungen auf?« fragte ich. »Urgulus war sich in diesem Punkt nicht ganz sicher.«
»Während ich die Umstehenden verhörte, haben die marsischen Frauen sie für die Überführung zur Beerdigung in ihrem Heimatdorf fertig gemacht. Sie zogen ihr das blutdurchtränkte Gewand aus, wuschen ihren Körper und wickelten sie in ein Leichentuch. Ich habe keine anderen Wunden gesehen, aber auch wenn sie mit einem Knüppel auf den Hinterkopf geschlagen worden wäre, ist es möglich, daß ich die Wunde nicht gesehen hätte.«
»Keine Beweisfunde in der Nähe des Tatorts, vielleicht die Mordwaffe oder dergleichen?«
»In dem Viertel?« meinte Murena. »Straßendiebe hätten sicher auch noch ihr Blut gestohlen, wenn sie irgend etwas dafür bekommen hätten.«
»So ist es wohl«, pflichtete ich ihm bei. »Sonst noch was?«
Er dachte einen Moment lang nach. »Nein, das stand in meinem Bericht. Wie gesagt, es gab nicht viel zu berichten. Als ich an jenem Morgen zum Gericht gegangen bin, habe ich den Vorfall in meinem Vormittagsrapport kurz erwähnt.«
»Ja, ich habe den entsprechenden Eintrag im Tabularium gefunden«, bestätigte ich. »Sag einmal, Gaius Licinius, warst du nicht vor geraumer Zeit einmal in Gallien?«
»Ja«, sagte er. »Vor vier Jahren, als Cicero und Antonius Konsuln waren. Ich war Legat meines Bruders Lucius, und er hat mir das Kommando übertragen, als er zu den Wahlen nach Rom zurückgekehrt ist. Warum, warst du damals auch dort?«
»Nein, es ist nur, daß Gallien dieser Tage in allen Köpfen herumzuspuken scheint.«
»Vielleicht spukt es in allen Köpfen«, erwiderte er trocken, »aber es befindet sich jetzt fast in Caesars Händen, auch wenn er das eines Tages noch bereuen könnte. Es würde ihm zumindest recht geschehen.«
»Dann bist du also ein Anhänger Pompeius’?« vermutete ich.
»Pompeius!« Sein Gesicht spiegelte blanke Verachtung wider. »Pompeius ist ein Emporkömmling, ein Niemand, dessen Ruf auf den Leichen besserer Männer gründet. Und bevor du mich danach fragst, Crassus ist ein fetter Sack voll Geld und heißer Luft, dem es einmal mit fremder Hilfe gelungen ist, eine Armee von Sklaven zu besiegen. Bist du jetzt
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