Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Alex’ Schulter, und er hielt den rechten
Arm fest um sie und schaute etwas zweifelnd in die Ferne, offensichtlich mit Besorgnis
das Wetter beobachtend. Eva staunte über sich: Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck
von Glück, dass ihr jetzt die Tränen kamen, wenn sie nur daran dachte. Tausend und
abertausend unvergessliche Augenblicke zu zweit hatte sie in den letzten Wochen
hier in den Dolomiten erlebt. Sollte das nun plötzlich abrupt zu Ende sein? Nicht
wegen einem Streit, sondern einem kleinen Unwohlsein. Vorbei die Liebesgeschichte,
die so verheißungsvoll angefangen hatte? Nichts als leere Träume? Warum? Lag der
Fehler bei ihr? Was hatte sie falsch gemacht? Wollte Alex frei sein, sich nicht
binden, hatte er zu viel versprochen und bereute es nun? Ja, manchmal hatte sie
den Eindruck, die italienischen Freunde seien ihm wichtiger als sie. Weit wichtiger.
Wie vor
einigen Tagen. Da hatte Alex seine Bekannten in die Lara-Hütte eingeladen und ihnen
von seinen Ausbauplänen vorgeschwärmt. Sie hatten den Wassergraben gebührend bewundert,
hatten Gewürztraminer und Gläser mitgebracht, viel und laut gelacht und getrunken,
diskutiert und Pläne für weitere Touren geschmiedet. Eva war sich, wie schon oft
in diesem Sommer, als fünftes Rad am Wagen vorgekommen.
Erst als
es dunkel wurde, waren sie alle zusammen zum Gasthof »Waldruh« spaziert, um dort
noch etwas zu essen, und da hatte der Wirt Eva ein Bündel Briefe und Karten, die
sich in den letzten Tagen angesammelt hatten, überreicht, die Post ließ sie sich
dorthin nachschicken.
»So viel
Post – so viele Verehrer«, war sie geneckt worden. Sie hatte die Briefe überrascht
und erfreut an sich genommen und sie etwas abseits gelesen. Auch einer von Peter,
einem Freund aus Basel, war darunter. Was für ein Trost zu wissen, dass jemand an
einen dachte und sogar geschrieben hatte! Peters Zeilen hatten sie nachdenklich
gestimmt, und auch jetzt musste sie wieder darüber nachdenken: »Gib acht auf dich,
Eva, die Menschen sind trügerisch, und du bist eine Träumerin. Sie werden dir wehtun,
dich verletzen …«
Am nächsten Morgen frühstückte Eva
gerade draußen vor dem Gasthof, als sie ein Auto den steilen Waldweg herauffahren
hörte. Alex stieg aus und kam mit seinem federnden Berglerschritt zu ihr auf die
Terrasse, und sie bestellte auch für ihn Kaffee. Warum kam er nicht von der Hütte
hinunter, sondern von Seis herauf? Wo hatte er die Nacht verbracht? ging ihr kurz
durch den Kopf.
»Hast du
dich erholt?«, fragte Alex.
»Ja. Die
Halsschmerzen sind weg.«
»Gut. Dann
auf zum nächsten Abenteuer.«
Bald fuhren
sie zusammen ins Tal hinunter. Die Sonne schien, der Himmel war klar, und die Spitze
der Hohen Zinne leuchtete weiß am Horizont. Sie nahmen eine neue Klettertour in
Angriff. Alex ging wie immer mit seinem festen Schritt voran. Nur in den Bergen
war er ganz er selbst, zufrieden und ausgeglichen. Seine Augen kamen Eva blauer
vor als je zuvor, und als er sich mit seinem scharf geschnittenen, gebräunten Gesicht
nach ihr umwandte, vergaß sie ihre Zweifel. Sie war ihm wieder gut.
Zweitägige Hochtour von Sulden aus.
Die Schlafplätze in der Düsseldorfer Hütte auf fast 3000 Meter waren vorbestellt.
Nach einer zweistündigen Wanderung den Zaybach entlang kam Alex gegen Abend mit
seiner Gruppe an. Er betrachtete lange prüfend die Gipfel der umliegenden Drei-
und Viertausender – Königspitze, Zebru, Ortler – und den Himmel.
»Den Angelus
können wir morgen wagen, selbst wenn das Wetter nicht gerade günstig ist. Drei Stunden
Aufstieg am frühen Morgen, das sollten wir alle problemlos bewältigen können. Wir
bilden zwei Seilschaften. Francesco, du übernimmst die eine mit Mario und Antonio,
ich nehme Bruno in die Mitte zwischen Ada und Eva.«
Nach dem
einfachen Nachtessen stellten sie die nassen Schuhe und Socken zum Trocknen neben
den Ofen und stiegen in den oberen Stock hinauf, um dort einige Stunden auf einfachen
Pritschen mit Wolldecken zu schlafen. Draußen hatte ein heftiger Sturm begonnen,
und der Wind heulte um die Hütte. Beim Gedanken, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe
aufzustehen und in der klirrenden Kälte auf einen Dreitausender aufzusteigen, wurde
allen – außer Alex – ziemlich beklommen zumute.
Etwas nervös
vor Aufregung machten sich alle sehr früh morgens noch bei Dunkelheit startbereit.
Es war so kalt, dass sie alles anzogen, was sie bei sich hatten: zwei Pullover übereinander,
die Windjacke darüber,
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