Tödliche SMS (German Edition)
natürlich Chris keinen zuvor jemals auf irgendeinem anderen Set getroffen hatte. Entweder war die Filmbranche größer als sie dachte oder es hatten inzwischen viele ihrer ehemaligen Kollegen in andere Berufe gewechselt. Was durchaus häufig vorkam, weil die Jobs in diesem Metier immer weniger wurden.
Aber jeder schien sie zu kennen. Zumindest wussten sie, dass Silke und sie befreundet gewesen waren. Bisher hatte noch keiner der Anwesenden sie direkt darauf angesprochen, aber nach einer knappen Stunde unterbrach Chris den Redefluss seiner Crew plötzlich. Sensationsgier machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Darf ich dich was fragen?“ Sein Ton klang bissig-provokant. Seine Augen spiegelten jetzt so etwas wie Hohn und Verachtung wider. Er hegte eindeutig noch immer einen Groll gegen sie. Nach all den Jahren.
„Wenn es sein muss“, antwortete Andrea zögernd.
Keiner schien die Stimmung, die zwischen ihnen herrschte, zu spüren. Nicht einmal Britta. Aber wie auch. Keiner der Anwesenden wusste ja etwas von ihrer gemeinsamen Vergangenheit.
„Was ist das für ein Gefühl, wenn man eine Leiche findet. Noch dazu, wenn es die Leiche einer Freundin ist?“
Den Bruchteil einer Sekunde hielt Andrea den Atem an. Das hatte gesessen. Woher wusste er darüber Bescheid? Natürlich! Die Branche war klein. Solche Geschichten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Jeder wusste es. Sie räusperte sich. „Schrecktlich“,antwortete sie knapp und schob sich eine Gabel mit Nockerln in den Mund. Sie legte keinen Wert darauf, in der Öffentlichkeit ihre Wunden zu lecken. Und auf gar keinen Fall würde sie ausgerechnet Chris ihr Herz ausschütten.
„Lass sie in Ruhe“, zischte Britta. Sie legte ihre Hand auf Andreas Arm und bedeutete ihr, keine Antwort zu geben.
Chris grinste bösartig und widmete sich wieder brummend seinem Mahl. „Man wird sich ja wohl noch erkundigen dürfen“, knurrte er. „Wenn man schon einmal so einen …“ – er kniff seine Augen zusammen – „… Star im Team hat, der gerade mal aus München anreist und anderen den Job wegnimmt, weil er ja so toll ist, oder?“ Die Häme in seiner Stimme war unüberhörbar.
Andrea überlegte. Was hieß hier Job wegnehmen? Diese Eva hatte den Job hingeschmissen. Sie öffnete den Mund.
„Einfach ignorieren, gar nicht hinhören“, murmelte Britta.
Arrogantes Arschloch, dachte Andrea. Er hatte sich nicht geändert.
Der Redeschwall hob wieder an.
„Er ist an und für sich kein schlechter Kerl. Nur nach drei Bier hat er halt eine große Klappe … Ist aber ein verdammt guter Kameramann. Er schreibt auch Drehbücher, Thriller. Ist aber noch keiner verfilmt worden, und Eva, die eigentlich die Setfotos machen sollte, ist seine Freundin. Keine Ahnung, was da schiefgelaufen ist. Ich weiß nur, dass Eva nicht so gut mit Gerhard kann. Aber du kennst das ja.“
Andrea nickte. Natürlich kannte sie das, die eingetretenen Türen nach einer rasenden Eifersuchtsszene, die blauen Flecken am Körper, weil er zugeschlagen hatte, die absolute Kontrolle über jeden ihrer Wege. Die Nachstellungen und verlogenen Liebesbeteuerungen, als sie sich endlich von diesem Monster getrennt hatte. Aber von all dem wusste Britta natürlich nichts. Nur Silke kannte die Geschichte. Und Silke war tot.
Sie bestellte noch ein Mineralwasser und nahm sich vor, nie wieder ein Wort mit diesem Kerl zu sprechen und auch keine Angst mehr vor ihm zu haben.
Dann blitzte ein Gedanke auf. Chris, der SMS-Schreiber.
Sie wandte sich Britta zu. „Und was hast du so gemacht, das letzte Jahr?“
Die Regisseurin lachte. „Nichts Großartiges, sonst hättest du meinen aufgehenden Stern am Filmhimmel wahrscheinlich bis München glitzern sehen. In erster Linie Werbespots wie diesen hier und ja, nicht zu vergessen … ich durfte den vierten Teil einer langweiligen Fernsehserie übernehmen. Der Regisseur hat sich mit dem Produzenten verkracht, da haben die mich angerufen. Nach dem vierten Teil war aber Schluss, hat wohl zu geringe Quoten gebracht. Wundert mich nicht bei der Geschichte.“
„Hast du in letzter Zeit mit Silke gearbeitet?“
Britta nickte. „Ja, Werbung. Taschentücher.“
„Wann war das?“
„Vor rund zwei Monaten. Wir hatten viel Spaß am Set … Scheißgeschichte, was? Wie fühlst du dich?“ Die Wärme in Brittas Stimme und ihr aufrichtiges Mitgefühl taten Andrea gut.
„Ich weiß es nicht. Auf der einen Seite habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie allein gelassen habe, auf
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